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Der 18 Schluessel

Der 18 Schluessel

Titel: Der 18 Schluessel
Autoren: Birgit Fiolka
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seiner Neugierde und seinem Wissensdurst. Seit er an diesem rabenschwarzen Tag das Buch in den Brunnen geworfen hatte, führte Danyal ein elendes Leben im Verborgenen, in einsamen Straßen, Katakomben oder leer stehenden Häusern, ein Leben ohne emotionale oder physische Berührung ... eine Qual, die nun seit fast fünfhundert Jahren andauerte. Die Schuldgefühle erdrückten ihn. Er hatte das gesamte Wissen des Schöpfers einfach fortgeworfen, den kostbarsten Schatz, den er für die Menschheit hätte behüten müssen. Seitdem scheute er die Menschen, denn er hatte das Gefühl, als würden sie die frevlerische Tat in seinem Gesicht lesen können. Meistens verbarg Danyal sich an menschenleeren Orten und zog sich zurück in die Welt der Erinnerungen seiner langen Existenz. Als er jung gewesen war, hatte Danyal zugesehen, wie Menschen die Pyramiden erbaut hatten, und später hatte er gewaltige Königreiche aufsteigen und fallen sehen. Was Menschen erschufen, faszinierte ihn, seitdem der Schöpfer ihn geschaffen hatte. Und auch jetzt kam er nicht umhin, ihre Erfindungen zu bewundern - Wagen, die ohne Pferde aus sich selbst angetrieben fuhren ... Licht, für das man keinerlei Feuer mehr brauchte ... das waren für ihn die ersten Wunder dieses neuen Jahrtausends. Die Menschen besaßen etwas, was die Engel ihnen neideten – die Fähigkeit zur Entwicklung und zum Fortschritt ... allein deshalb hatten die Cherubim ihnen das Buch Raziel gestohlen. Früher hatte er die Entscheidungen seinesgleichen nie infrage gestellt, vor allem nicht die der edlen Seraphim und Cherubim – aber diese Zeit war lange vorbei. Danyal wusste um ihre Schwächen, ebenso wie um seine eigenen.
    Manchmal, wenn Danyal in seinen reichen Erinnerungen versank und irgendwann in die Realität zurückkehrte stellte er fest, dass Jahrzehnte oder auch ein ganzes Jahrhundert vergangen waren, während er nur dagesessen hatte. Und immer wenn er aufwachte, fühlte er sich einsam und müde ... Danyal zweifelte am Sinn seiner Existenz.
    Enttäuscht blickte er in die steinernen Gesichter der Engel – sie hatten sich nicht verändert. Natürlich nicht! In dieser Nacht war Danyal seit langer Zeit das erste Mal in die Welt der Menschen zurückgekehrt, um sich umzuschauen ... heimlich, als ob er etwas Unrechtes tat. Schon wieder waren es fast zweihundert Jahre gewesen, in denen er in eine Starre verfallen war. Und das erste Mal hatte er darüber nachgedacht, ob er nicht ebenso starr war wie seinesgleichen, auch wenn er sich stets eingeredet hatte, dass er den Menschen nahe war. Danyal spürte an diesem Abend, dass es ihm immer schwerer fiel, sich unter Menschen zurechtzufinden, wenn er in ihre Welt kam. Und er musste sich eingestehen, dass er in dieser Nacht das erste Mal nicht aus Neugierde auf die Menschen und ihre Errungenschaften hierher gekommen war. Im Gegenteil – Danyal war hier, weil es ihn danach verlangte all dem nahe zu sein, was er kannte und was ihm vertraut war. Rom, die Ewige Stadt, die Stadt der Engel! Hier gab es sie zu Hunderten, hier erinnerte man sich an seinesgleichen. Doch als er jetzt zwischen den steinernen Kunstwerken stand, die seine Art in einer von Menschen geschaffenen romantisch verzerrten Realität darstellten – mit Flügeln, wie Vögel sie besaßen, mit weichen fließenden Gewändern und schönen Gesichtern – wurde ihm klar, dass er hier nicht das finden würde, was er suchte ... Vertrautheit und Frieden ...
    Die Erkenntnis verbitterte ihn. Er war ein Engel, und er wollte endlich nach Hause ... aber er hatte einst den Frevel begangen, das Buch zu vernichten, und wagte nicht mehr seinesgleichen gegenüberzutreten. Sie würden ihn verbannen und bestrafen, ebenso, wie sie Satanael aus ihren Reihen verbannt hatten. Und so war diese elende Existenz zu seinem Schicksal geworden - ebenso wie das Buch Raziel auf ewig für die Menschen verloren war, so würde der Himmel für ihn auf ewig verloren bleiben. Trotzig war er gewesen und dumm. Er hatte in diesem Augenblick nicht an die Folgen seiner Tat gedacht.
    Erlöst mich von dieser Qual, verlangte er stumm von denjenigen, die ihn nicht erhören wollten oder konnten, während er seine Finger in das Geländer der Brücke krallte, um den tiefen Schmerz ertragen zu können. Die Gesichter aus Stein schienen ihn in schweigsamer Verachtung anzusehen und ihn zu verspotten. Du hast einen zu großen Frevel begangen ... Er sah hinüber zur Engelsburg, auf der Michaels Statue, mit seinem Schwert in der
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