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Der 18 Schluessel

Der 18 Schluessel

Titel: Der 18 Schluessel
Autoren: Birgit Fiolka
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noch fester zusammen. Nun stand Rösner direkt hinter ihm und sah auf den Schulterblättern des Fremden etwas Dunkles in Rinnsalen seinen Rücken hinunter laufen. Als er die Augen zusammenkniff, erkannte er, was es war und stieß einen erschrockenen Schrei aus. „Gott, stehe mir bei ... Sie bluten ja! Haben Sie sich verletzt? Überall auf dem Boden ist Blut! Ich muss einen Krankenwagen rufen.“ Aus einem Impuls heraus berührte der Domaufseher den Fremden an der Schulter.
    Endlich reagierte der Mann. Mit einer schnellen Bewegung fuhr er zu Adelbert Rösner herum, der meinte, noch nie eine volltönendere Stimme vernommen zu haben; eine Stimme, in der Verzweiflung mitklang. Die Augen des Fremden waren lebhaft und doch irgendwie formlos, wie die eines Neugeborenen ... wo begann die Iris, wo endete die Pupille? Es war zu dunkel im Binnenchor, als dass Rösner es hätte sagen können.
    „Sufferre nequeo!“ Die Stimme des Fremden hallte in einem Singsang durch den Dom – leise, und doch jeden Winkel des riesigen Gotteshauses mit ihrer Resonanz ausfüllend.
    Ich ertrage es nicht! Was sollte das? Warum sprach der Mann Latein? „Um Himmels willen ... kommen Sie doch endlich mit mir! Wir müssen uns um Ihre Verletzungen kümmern.“ Rösner wusste nicht, was ihn mehr ängstigte; dass der Mann vor seinen Augen verbluten könnte oder die gottlose Begehrlichkeit, welche der Anblick seines Körpers in ihm weckte. „Sie brauchen Hilfe, und Sie entweihen den Altar“, versuchte er nun drängender, den Fremden mit vernünftigen Argumenten zu erreichen. „Wer sind Sie, und warum sind Sie hier? Können Sie mich überhaupt verstehen?“
    „Dolor meum iustificatus est peccato commisso”, erklang die Stimme des Mannes erneut, dieses Mal in so tiefer Verzweiflung, dass Adelbert Rösner, ohne dass er es verhindern konnte, Tränen in die Augen traten. Mein Schmerz ist gerechtfertigt durch die begangene Sünde. Das wurde immer unheimlicher. Diese seltsam gestelzten lateinischen Sätze. Das Blut lief ihm noch immer in Rinnsalen den Rücken hinab, an den Beinen hinunter und tropfte wie rote Tränen auf seine nackten Füße. Als er einen vorsichtigen Schritt auf den Domaufseher zuging, trat er in sein eigenes Blut und hinterließ Abdrücke seiner Fußsohlen auf dem schwarzen Marmorboden des Hochaltars.
    Das war zu viel für Rösner. In seiner Not und weil er damit seine eigene Angst vertreiben wollte, schrie der den verwirrten Mann an. „Entweder Sie kommen jetzt mit mir oder ich rufe die Polizei! Dann können Sie die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbringen.“ Er versuchte, nach dem Arm des Mannes zu greifen.
    Der Fremde, der vielleicht gerade ein wenig Vertrauen zu ihm hatte fassen wollen, sprang zurück und rief: „Noli me tangere!“ Berühre mich nicht! Ohne den Domaufseher weiter zu beachten, schloss er die Augen und hob zu einem seltsamen Sprechgesang an. „Ilasa micalazoda olapireta ialpereji beliore ...das odo busaire Satanael.“ Anmutig sank er auf die Knie, nur um seine Fingerspitze in die Pfütze seines eigenen Blutes zu tauchen und dann mit dem Finger auf dem Boden zu zeichnen. Rösner legte den Kopf zur Seite und versuchte zu erkennen, was er dort tat. Es waren seltsame Zeichen – Linien und Bögen, die miteinander verbunden waren und in kleinen Kreisen endeten. Rösner zog die Brauen zusammen – so etwas hatte er noch nie gesehen, aber sicherlich war es nicht angebracht in einem Gotteshaus. Erneut wollte er den nackten Mann, der in der fremden Sprache vor sich hin murmelte an der Schulter packen, doch hielt schließlich inne, als dessen Worte lauter und eindringlicher wurden – fast so als wollten sie sich zu einem energischen Fluch vereinigen; und noch etwas veränderte sich in der Stimme des Mannes, während er die fremd klingenden Laute sang. Zuerst war da nur ein unterschwelliges Summen in Adelbert Rösners Ohr gewesen, doch je länger der Fremde sang, desto stärker war das Summen geworden - war bald ein Vibrieren, das über die Füße und dann über die Beine, die Brust und schließlich die Hände in den Kopf stieg, wo es sich, je lauter der Fremde sprach, im Schädel einnistete, sodass Rösner meinte, sein Gehirn müsse platzen wie eine überreife Melone. Plötzlich spürte der Domaufseher, wie ein Blutrinnsal aus seiner Nase lief, und wagte doch nicht, die Hände von den Ohren zu nehmen, um es fortzuwischen. „Aufhören ... bei der Liebe Gottes“, jammerte Rösner.
    „... Iaida“, schloss der
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