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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief
Autoren: Lucie Klassen
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Programme.

5.
    Ich bekam nicht mit, wann Danner zurückkehrte.
    Ich hatte nicht riskieren wollen, dass er mich beim Zappen erwischte und doch noch vor die Tür setzte, deshalb hatte ich den Fernseher bald wieder ausgeschaltet. Und war beinahe sofort auf den durchgesessenen Sofapolstern eingeschlafen.
    Was mich am nächsten Morgen weckte, war eine dröhnende Männerstimme.
    »Mach gefälligst dein Telefon an! Die hysterische Kuh hat mich um sieben Uhr morgens aus dem Bett geklingelt! Ich bin nicht deine Sekretärin, verdammt noch mal!«, brüllte jemand direkt vor dem Sofa.
    Samt Decke sprang ich auf. Der Bauch, vor dem ich im nächsten Moment stand, sprang genauso schnell einen ganzen Meter zurück.
    Der Dicke starrte mich an, als wäre ich kein Mädchen auf einer Couch, sondern ein Vampir, der sich gerade aus seinem Sarg erhoben hatte.
    Der Mann war nicht nur fett, sondern auch groß und genauso unrasiert wie Danner. Die paar grauen Haare, die dem Dicken noch nicht ausgegangen waren, trug er beinahe schulterlang und um seinen Bauch hatte er eine ehemals weiße Schürze gewickelt, auf der sich mehrere Handabdrücke abzeichneten. Hinter halbmondförmigen Brillengläsern umgaben so viele Lachfältchen die flinken, dunklen Augen, dass er sogar noch fröhlich aussah, als er mich musterte wie eine in die Decke eingerollte Ratte.
    Bei dem hätte ich einziehen sollen, war mein erster Gedanke. Im Gegensatz zu Danner war dieser Mann mir auf Anhieb sympathisch. Und mit Sicherheit war er nicht völlig resistent gegen Mitleid jeder Art.
    »Guten Morgen!«, grinste ich.
    Er überlegte offensichtlich, was er darauf antworten sollte. »Sind Sie mit Danner verwandt?«, brachte er schließlich heraus.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Eine Freundin?«
    Ich verneinte noch mal.
    »Eine Klientin?«
    Auch nicht.
    »Was zum Teufel machen Sie dann hier?«
    »Ich bin Lila«, sagte ich, als würde das alles erklären.
    Sein Blick sagte mir, dass das nicht alles erklärte.
    »Ich bin Molle, mir gehört die Kneipe unten.« Er verschränkte abwartend die Hände auf dem Bauch, dem er vermutlich seinen Namen verdankte.
    »Ich bin neu in der Stadt«, klärte ich ihn auf. »Gestern hat es gegossen wie aus Eimern und ich hatte kein Geld für ein Zimmer. Ich wusste nicht, wo ich hin sollte.«
    »Und da hat Danner Sie hier schlafen lassen? Umsonst?«
    Ohne Zweifel glaubte er mir kein Wort. »Kommen Sie, ich mache uns unten Frühstück«, brummte er belustigt. »Solange können Sie sich eine bessere Geschichte ausdenken.«
    Frühstück?
    Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
    Danners Pulli und meine Jeans hatte ich noch an und so folgte ich Molle barfuß die Treppe hinunter.
    In der ersten Etage deutete Molle auf die Tür von J. Schröder: »Meine Wohnung.«
    Es hätte mich auch überrascht, wenn Molle als Name in seinem Ausweis gestanden hätte.
    »Aber Frühstück mach ich uns unten.«
    In der Kneipe war niemand.
    Kein Wunder, es war gerade erst Viertel nach sieben.
    Molle wies mit einem Kopfnicken auf einen Tisch direkt neben der Theke, auf dem ausgebreitet die Tageszeitung lag.
    Ein Becher stand daneben. »Kaffee?«
    »Tee, wenn es keine Umstände macht.«
    Ich setzte mich. Weitere Tische standen in Nischen vor den Fenstern. Die Polster der Stühle und Bänke waren mit rot kariertem Stoff überzogen. Es gab Topfpflanzen auf den Fensterbänken, Fußballfotos und eine VfL-Flagge an den Wänden, ein elektronisches Dartspiel, einen Flipper und einen Computer, an dem man für zwei Euro Trivial Pursuit spielen konnte.
    Ich zog die Beine zum Schneidersitz auf den Stuhl, damit meine nackten Füße nicht an dem gefliesten Boden festfroren, und entdeckte hinter den Wodkaflaschen auf dem Tresen mein Spiegelbild.
    »Oje!« Hastig fuhr ich mir mit den Fingern durch die lila Zotteln, die von meinem Kopf abstanden wie die Mähne eines toupierten Löwen.
    Im nächsten Moment vergaß ich mein Frisurproblem, denn Molle balancierte einen Korb mit duftenden Brötchen, Kaffee, Marmelade, Honig, Nutella, Käse, Aufschnitt, ein Ei und Tee auf einem Tablett herein.
    »Wow!«, stotterte ich. »Hören Sie, Herr Molle, ich kann das nicht bezahlen, ich –«
    Er schnaufte empört. »Herr Molle? Das lassen Sie mal schnell wieder bleiben! Wenn Sie wollen, können wir uns duzen. Oder bestehen Sie auf ›Frau Lila‹?«
    Er grinste.
    Ich grinste zurück: »Auf keinen Fall. Also, Molle, ich hab keine Kohle für ein Frühstück wie in der Präsidentensuite.«
    »Geht aufs
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