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Denn vergeben wird dir nie

Denn vergeben wird dir nie

Titel: Denn vergeben wird dir nie
Autoren: Mary Higgins Clark
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traf?«
»Andrea hat gemeint, dass er ihr ein paar Mal heimlich
auf dem Weg zum Versteck gefolgt ist. Paulie wollte, dass
sie seine Freundin wird.«

4
    JEMAND hatte die Waschmaschine benutzt.
»Was war denn so dringend, dass es nicht warten konnte,
bis ich wieder da bin, Mrs. Westerfield?«, fragte Rosita
leicht besorgt, als ob sie befürchtete, ihre Pflichten
    vernachlässigt zu haben. Sie war am Donnerstag
weggefahren, um ihre kränkelnde Tante zu besuchen. Jetzt
war es Samstagmorgen, und sie war soeben zurück
gekehrt. »Sie sollten sich nicht um die Wäsche kümmern,
Sie haben doch ohnehin schon so viel Arbeit.«
    Linda Westerfield wusste nicht, warum plötzlich eine
Alarmglocke in ihrem Kopf schrillte. Aus irgendeiner
Vorahnung heraus antwortete sie ausweichend auf Rositas
Bemerkung.
    »Ach, wissen Sie, wenn ich einen Anstrich überprüfe
und versehentlich mit der Farbe in Berührung komme,
dann ist es manchmal am einfachsten, die Kleider sofort in
die Maschine zu stecken«, sagte sie.
    »Also, wenn ich mir die Menge an Waschmittel ansehe,
die Sie verbraucht haben, dann müssen Sie ganz ordentlich
mit der Farbe in Berührung gekommen sein. Und,
Mrs. Westerfield, ich hab gestern in den Nachrichten das
mit dem Cavanaugh-Mädchen gehört. Ich muss die ganze
Zeit daran denken. Wer hätte es für möglich gehalten, dass
so etwas in einer kleinen Stadt wie der unsrigen passieren
kann? Es bricht einem das Herz.«
    »Ja, es ist schrecklich.« Es musste Rob gewesen sein,
der die Maschine benutzt hatte, dachte Linda. Vince, ihr
Ehemann, wäre nie auf die Idee gekommen, so etwas zu
machen. Er hätte wahrscheinlich nicht einmal gewusst,
wie er das Gerät überhaupt bedienen sollte.
    Rositas Augen waren glänzend geworden, und sie
wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Die arme
Mutter.«
    Rob? Was sollte er denn so Wichtiges zu waschen
haben?
Früher, mit elf, hatte er mal versucht, den Zigaretten
geruch aus seinen Kleidern zu waschen.
»Andrea Cavanaugh war so ein hübsches Ding. Und ihr
Vater ist Lieutenant bei der Polizei! Eigentlich sollte man
meinen, dass so ein Mann in der Lage sein musste, seine
Tochter zu beschützen.«
»Ja, sollte man meinen.« Linda saß an der Küchentheke
und überflog Entwürfe von Fenstern, die sie für das neue
Haus eines Kunden angefertigt hatte.
»Dass jemand dazu fähig ist, so einem Mädchen den
Kopf einzuschlagen. MUSS ein Monster sein. Ich hoffe
nur, dass sie ihn gleich aufhängen, wenn sie ihn finden.«
Rosita redete weiter vor sich hin und schien keine
Antwort zu erwarten. Linda legte die Entwürfe zurück in
die Mappe. »Mr. Westerfield und ich sind heute mit ein
paar Freunden zum Abendessen im Restaurant verabredet,
Rosita«, sagte sie, als sie sich von ihrem Hocker gleiten
ließ.
»Und Rob, ist er zu Hause?«
Gute Frage, dachte Linda. »Er ist joggen gegangen und
wird jeden Augenblick zurück sein. Fragen Sie ihn dann
selbst.« Das kurze Zittern ihrer Stimme war Linda nicht
entgangen. Rob war gestern den ganzen Tag unruhig und
schlecht gelaunt gewesen. Als sich die Nachricht von
Andrea Cavanaughs Tod wie ein Lauffeuer in der Stadt
verbreitete, hatte sie erwartet, dass er bestürzt reagieren
würde. Stattdessen tat er das Ganze ab. »Ich hab sie kaum
gekannt, Mom«, sagte er.
War es vielleicht so, dass Rob, wie viele Neunzehn
jährige, den Gedanken an den Tod eines jungen Menschen
nicht ertragen konnte? Dass er davon in unerträglicher
Weise an seine eigene Sterblichkeit erinnert wurde?
Linda stieg langsam die Treppe hinauf, wie beschwert
von der plötzlichen Ahnung einer drohenden Katastrophe.
Vor sechs Jahren waren sie aus ihrem Haus in der East
Seventieth Street in Manhattan in diese Residenz aus dem
achtzehnten Jahrhundert gezogen. Rob war damals aufs
Internat gegangen. Sie und ihr Mann hatten beide den
Wunsch gehabt, ständig in dieser Stadt zu leben, in der sie
schon seit jeher den Sommer im Haus von Vinces Mutter
verbracht hatten. Vince hatte gemeint, es gebe hier
großartige Möglichkeiten, Geld zu verdienen, und er hatte
angefangen, in Grundbesitz zu investieren.
Das Haus, in dem die Zeit stillgestanden zu sein schien,
verschaffte ihr immer wieder ein angenehmes Gefühl von
Ruhe und Geborgenheit. Heute aber hielt Linda weder
inne, um das polierte Holz des Geländers unter ihrer Hand
zu spüren, noch blieb sie stehen, um den Blick vom
Fenster im Flur auf das Tal zu genießen.
Sie lief direkt zu Robs Zimmer.
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