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Denn niemand hört dein Rufen

Denn niemand hört dein Rufen

Titel: Denn niemand hört dein Rufen
Autoren: Mary Higgins Clark
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würde, aber das war bisher noch nicht passiert. Außerdem war es ihr zur festen Angewohnheit geworden, jedes Mal, wenn sie morgens ankam oder nachmittags nach Hause fuhr, langsam an Raines’ Haus vorbeizufahren, auch wenn das bedeutete, dass sie am Nachmittag
einen Umweg um den Block fahren musste, um auf den Highway zu gelangen.
    An diesem Montagmorgen war Suzie ihrem Wunschtraum, Natalie Raines einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, schon relativ nahe gekommen. Als sie an ihrem Haus vorbeifuhr, stieg Raines gerade aus ihrem Wagen. Suzie seufzte. Allein schon dieser kurze, flüchtige Anblick ihres Idols brachte so etwas wie einen Funken Glück in ihren Tag.
     
    Nachdem sie sich herzlich von Mrs Banks verabschiedet und die Einkaufsliste für den nächsten Morgen eingesteckt hatte, stieg Suzie um ein Uhr nachmittags in ihren Wagen und fuhr rückwärts aus der Ausfahrt. Sie zögerte kurz. Die Chance, dass sie Natalie Raines zwei Mal an einem Tag sehen würde, stand eins zu einer Million, und außerdem war sie müde. Doch die Gewohnheit setzte sich durch, und so wendete sie den Wagen nach links und fuhr im Schritttempo am Nachbarhaus vorbei.
    Im nächsten Augenblick hielt sie abrupt an. Das Tor zu Raines’ Garage stand offen, ebenso die Fahrertür ihres Wagens  – alles war noch genau so, wie sie es am Morgen gesehen hatte. Natalie Raines ließ das Garagentor nie geöffnet, und ganz bestimmt gehörte sie nicht zu den Menschen, die ihre Wagentür den ganzen Tag offen stehen lassen. Vielleicht sollte ich mich besser um meinen eigenen Kram kümmern, dachte Suzie, aber in diesem Fall geht das nicht.
    Sie bog in die Einfahrt ein, stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen. Mit zaghaften Schritten ging sie in die Garage. Es war eng dort drinnen, und sie musste die Fahrertür von Raines’ Wagen anlehnen, um zur Küchentür zu gelangen. Mittlerweile war sie überzeugt, dass etwas nicht
stimmte. Mit einem kurzen Blick in das Wageninnere hatte sie gesehen, dass eine Handtasche auf dem Beifahrersitz lag und ein Koffer auf dem Boden vor der Rückbank stand.
    Als keine Reaktion auf ihr Klopfen erfolgte, zögerte sie zunächst einen Augenblick, doch dann, unfähig, einfach wieder wegzugehen, drehte sie den Türknopf. Die Tür war nicht verschlossen. Plötzlich hatte sie Angst, sie könnte wegen Eindringens in ein fremdes Haus verhaftet werden, doch etwas trieb sie dennoch dazu, die Tür zu öffnen und die Küche zu betreten.
    Dann begann sie zu schreien.
    Natalie Raines lag zusammengekrümmt auf dem Boden, ihr weißer Wollpullover war voller Blut. Ihre Augen waren geschlossen, doch ein leises Wimmern drang zwischen ihren Lippen hervor.
    Suzie kniete sich neben sie, holte hastig ihr Handy aus der Tasche und gab die Notrufnummer ein. »Walnut Street 80 in Closter«, schrie sie die Telefonistin an. »Natalie Raines. Ich glaube, sie wurde erschossen. Schnell, beeilen Sie sich. Sie stirbt.«
    Dann legte sie das Handy beiseite. Sie streichelte Natalies Kopf und sagte mit begütigender Stimme: »Mrs Raines, es wird alles gut werden, das versprech ich Ihnen. Sie schicken einen Krankenwagen. Er muss jeden Moment da sein.«
    Der klagende Laut aus Natalies Mund erstarb. Einen Augenblick später blieb ihr Herz stehen.
    Ihr letzter Gedanke war der Satz, den Blanche DuBois am Ende des Stückes sagt: »Ich war immer abhängig vom guten Willen fremder Leute.«

3
    S ie hatte letzte Nacht wieder von Mark geträumt, es war einer dieser verschwommenen, unbefriedigenden Träume, in denen sie seine Stimme hören konnte und auf der Suche nach ihm in einem dunklen, höhlenartigen Haus herumirrte. Emily Kelly Wallace wachte mit dem ihr schon vertrauten Gefühl auf, eine schwere Last auf dem Herzen zu tragen. Es stellte sich immer nach dieser Art von Träumen ein, doch sie war an diesem Tag fest entschlossen, sich nicht davon niederdrücken zu lassen.
    Sie schaute hinüber zu Bess, der vier Kilo schweren Malteserdame, die ihr Bruder Jack ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Bess schlief tief und fest auf dem anderen Kissen, und beim Anblick ihres Hündchens hob sich ihre Stimmung sofort. Emily schlüpfte aus dem Bett, griff zu ihrem warmen Morgenmantel, der in dem kalten Schlafzimmer immer in Reichweite lag, nahm die widerstrebend aufwachende Bess in den Arm und stieg die Treppe ihres Hauses in Glen Rock, New Jersey, hinunter, in dem sie die meisten ihrer zweiunddreißig Lebensjahre verbracht hatte.
    Als Mark vor drei Jahren im Irak
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