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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Autoren: Eckhard Henscheid
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mich als »Antisemiten« zu entlarven.
    »Parkwächter« – oder wahlweise Müllabfuhr – wäre allerdings tatsächlich ein Alternativberuf für den und diesen ganz speziellen Ec(k)kard. Ein beschaulicher, ein nützlicher, ein, ach, so nervschonender Beruf.
    *
    »Großer Gott, wir loben dich,
    Herr, wir preisen deine Stärke,
    Vor dir neigt die Erde sich
    Und bewundert deine Werke …«
    Das vermutlich alte Kirchenlied, das mächtige Gotteslob, ward orgelumbraust und daher besonders pastos daherwalzend gesungen von allem Volke der Pfarrei St. Georg am Silvesternachmittag beim festlichen und jeweils rammelvollen Jahresschlußgottesdienst mit innerkirchlicher Prozession – und ich, mittendrin im Gewoge und Gewürge, möchte hier nicht behaupten, daß ich die humangeschichtliche und theologische Obskurität dieser Art von Gottespreisung, ja -anbiederung schon vorkritisch durchschaut hätte; durchaus aber, so erinnere ich mich, daß mir bei den nächsten beiden Zeilen
    »Wie du warst vor aller Zeit,
    So bleibst du in Ewigkeit!«
    die Fraglichkeit, ja Tiefenproblematik der Sache ahnungsweise sehr wohl aufgegangen war: Die Grundfrage nämlich dahingehend, ob das denn geht im Verbund dessen, was wenig später allseits (nur freilich nicht in der Welt der Cattolica) Big Bang genannt wurde; ob also vor diesem logisch und naturwissenschaftlich immerhin sehr gut denkbaren, ja wegen der Hintergrundstrahlung recht wahrscheinlichen Urknall, sprich » vor aller Zeit«, auch schon irgendetwas gewesen sein könnte – und sei es Gott.
    Allerdings hatte ich ja noch keine Zeit, die Sache weiter und zu Ende zu verfolgen, ich hatte damals Wichtigeres zu tun: Nach dem Silvesterandachtsgelärme nicht gerade Fußball zu spielen, sondern – Tischfußball. Nämlich am Küchentisch der eigenen Mutter oder befreundeter Kinder-Mütter; einem Tisch, der mit meist 70 mal 110 Zentimetern im Maßstab von 1:100 ziemlich genau dem damals üblichen Landesligafußballfeld entsprach. Tischfußball mit zwei übereinander geklebten Flohhüpfern, laubgesägten Toren mit Tüllnetz (gleichfalls im Maßstab 1:100) – und elf Spielern, die sich jeweils zur persönlichen Lieblingsmannschaft verbanden.
    »Schnippen« nannten wir das, und spielten es faktisch alle Tage zu jeder Uhrzeit. »Schnippen« war die wichtigste Sache und vielleicht auch das wichtigste Wort zwischen dem 10. und 13. Lebensjahr, wichtiger als der erwähnte Gott, ja praktisch eben dieser.
    Man denke.

1951–1961
    D er Duft der frühen, der beinahe noch ganz frühen Jugend gleich nach der Kindheit und Knabenära war der Duft der Katholizität, meist in Verbindung mit dem Amt des Ministranten. Ein Duft von gleichsam alltäglicher Spiritualität, sich konstituierend aus Kerzen und Weihrauch und Myrrhe, vielleicht auch dem immer ein wenig gleichwie feuchten Mauerwerk der Stadtpfarrkirche St. Georg, von altem Holz und geöltem Gestühl wohl auch, möglicherweise von Bohnerwachs und Natronlauge, im Frühling das Ganze dann durchmischt mit den Düften von Lindenblüten und Wacholder, von Mai und Maiandacht, im Sommer von Sonne und Schatten, im Oktober dann von Rosenkranz, falls der denn wirklich duften kann –
    Ich fürchte, wer neugierig geworden nachspüren möchte, was ich genau meine, hat keine Chance mehr dazu: Der besagte spirituelle, spirituosige Duft scheint aus unseren Kirchen verschwunden zu sein – verlorengegangen wie der vorkonziliare lateinische Liturgietext, die noch in starken Spuren tridentinische Gefühlsgeistigkeit, von der wiederholt Schleiermacher und die anderen Romantiker reden – verloren und versungen und vertan, Ratzinger hat im entscheidenden Augenblick wieder mal nicht aufgepaßt, und Mosebach kann es schon gleich gar nicht wiedergutmachen und restituieren, seine katholische Spiritualität ist mir einfach zu frankfurterisch, zu wenig mariaschneebayerisch.
    Es ist nicht gerade »eine physisch schmerzende Sehnsucht nach dem Geruch« (Nabokov) der Heimat und Kindheit oder in diesem Fall der frühen Religion. Aber einmal im Monat, im Vierteljahr würde man diese alten Kirchen doch wieder gern atmen, einschnaufen. Samt ihrer gleichfalls verschollenen Religion. Diese nämlich ist, wiederum laut Schleiermacher, »Sinn und Geschmack für die Unendlichkeit«. Geschmack – und Geruch!
    *
    »Der Katholizismus«, meint Heinrich Heine anläßlich einer italienischen Reise im Jahr 1828 vermuten zu sollen, »ist eine gute Sommerreligion.«
    Nein, natürlich nicht.
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