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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Autoren: Eckhard Henscheid
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Sondern Frühlingsreligion, präziser: Spätfrühling. Die Karwoche samt Palmsonntag, Ostern, Maiandacht, Pfingsten, Fronleichnam – alles tendiert, wie schwächer bereits im Advent, in »die Erwartung« (G. Polt), ins Hoffnungsvollere, Bessere, ins Hibbelige, spirituell Fickrige – doch, die Brüder wußten dieses ewige Menschheitsbedürfnis schon extra gut zu nutzen. Heraus aus dem allg. Ungemach und Schlendrian in einem fort, heraus, sich irgendwie zu erheitern, und sei’s mit den albernsten Wetterwechselkonditionen als Versprechen an die zumindest katholisch kreuzbrav gläubige Humanität – ob der Ratzinger jetzt auf seine älteren Tage hier mal weiter und genauer drüber nachdenkt und eventuell eine Erklärung, ja eine Enzyklika –?
    *
    Die Familie, die recht große Kleinfamilie: Der Vater Johann kam erst 1948 aus sowjetrussischer Kriegsgefangenschaft heim in die Oberpfalz, er war damit mehr oder weniger von vornherein im Hintertreffen bei mir, dem Schulkind. Auch wenn er ihm schon zufrieden das zweite Schulzeugnis unterschrieb: Wir wurden, ohne daß es je die später so beliebt üblichen Generationsauseinandersetzungen betr. Nazi-Väter o. dgl. gesetzt hätte, nie mehr ganz warm miteinander. Der Vater litt darunter wohl auch nicht gar zu heftig und spürbar, daß er unter den nunmehr vier erwachsenen Bezugspersonen immer nur die Nummer 4 war. Und konnte sich auch niemals dazu verstehen, etwa von seinen beiden musisch-musikalisch begabten und ehrgeizigen Kindern auch nur einen Klacks dazuzulernen. Er war wohl weder im fördernden noch im hinderlich-verdrießlichen Sinn ein allzu interessierter oder gar penetrant ambitionierter Erzieher; und auch nur in minderem Maße das, was man etwas später Autoritär oder gar autoritärer Charakter nennen sollte. Könnte sein, daß er damit unwillentlich zu meiner Prägung und meiner späteren Berufsrichtungswahl beitrug: dem Kritiker-Satiriker. Auch wenn der immerzu den Gegendruck der dummen und reaktionären und autoritativ gesinnten Welt braucht, ist ja wohl noch bestimmender das Elementargefühl der unreglementierten Persönlichkeits- und zumal Kopfentfaltung obligat. Und meiner entfaltete sich und wuchs, wie Fotos beweisen, unverzüglich und unentwegt.
    Auch die Mutter Maria hatte Pech, sogar unverdientes Pech. Lange Zeit stand sie als prägende Kraft – deutlicher sogar als die ältere Schwester, die mich vor allem in die Welt der klassischen Musik, der Oper geleitete – sozusagen im zweiten Glied. Es war eine gute, sehr gute, manchmal auch tapfere Mutter, eine getreue und zuweilen etwas treudeutsche – erst in ihren späteren Lebensjahren, sie starb mit 78, wurde sie mir fühlbar erheblicher, erheblich interessant, als Zeitgeistgestalt wie auch als latente Kunstliebhaberin und -verständige; die da nur von vielerlei Zeitungunst vom ernstlichen Zugang zur Kunst, von der Künstlerin abgehalten worden war. Erkennbar ihre Talente als Zeichnerin und Malerin, weniger als Geigerin. Da war es nur so, daß sie, wenn es nach ihr gegangen wäre, knapp vor der Eheschließung, statt einen Bahnbeamten zu nehmen, gern mit einem Zigeuner und Zigeunergeiger durchgegangen wäre, wie sie mir später gestand. Ich hätte es ihr nie verziehen, wenn ich dann wohl gar nicht geboren worden wäre, ja werden hätte können dürfen.
    Als Kind war sie der verhätschelte Liebling ihres Vaters Alois gewesen, eines Bierbrauers, der nun wiederum als rundum unübertrefflicher Bilderbuchidealgroßvater mein Herzensliebling geworden und gewesen wäre, hätte da, vor allem zwischen 1955 und ihrem Todesjahr 1967, nicht seine Frau allmählich und dann immer bezwingender ihren molligen Leib doch noch an ihm vorbei nach vorne zu mir hin geschoben: Meine Großmutter Monika Ruhland, die Brauersgattin, eine potentiell auch sehr potente Geschäftsfrau, eine Bauerntochter, ein Gewächs vom Bayerischen Wald, sozusagen eine Aufsteigerin, bei der die ländliche Herkunft ganz mühelos naturhaft zur Urbanität, zur wahrlich souveränen Weltläufigkeit aus- und umgeschlagen war. Die als Frau mittleren Alters mehr gestrenge und versierte Familienwahrerin und -wartin gewesen war, so etwas, was in Goethes Idylle wohl noch Schaffnerin hieß, – der mit fortschreitendem Alter eine fortschreitend anrührende Drolligkeit eigen wurde, etwas ganz Singulär-Komisches, freiwillig und unfreiwillig, eine Komik, die auch bei den noch späteren Gravuren von Demenz so gut wie nie lastend wurde. Sondern nochmals
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