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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Autoren: Eckhard Henscheid
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Fronleichnamsumzugs herhalten sollte. Sodaß mein persönliches »Heraustreten aus dem Schatten Hitlers« (Franz Josef Strauß) zwar mählich und im Prinzip gewährleistet war, sich aber naturgemäß noch eine Weile hinzog.
    Wiedergutmachung leistete ich 1968ff. mit der mehrfachen Teilnahme an Anti- NPD -Aufläufen wider die Besuche der Bundes- und Landesvorsitzenden Thadden und Pöhlmann. Um, wahrnehmend die fortschreitende historische Ahnungslosigkeit der Nachwachsenden, dereinst aber nun doch mal Nägel mit Köpfen draus zu machen. Mit der Behauptung nämlich, z.B. gegenüber zulauschenden Studenten, ich sei am 20.7.1944 bei Stauffenbergs Anschlag im Führerhauptquartier leitend mit von der Partie wenn schon nicht Partei gewesen.
    Nämlich genaugenommen als rechtzeitig seit 1942 »dem weiteren Widerstandskreis der ‹Weißen Rose› zugehöriger« (Hildeg. Hamm-Brücher in ihrer Kurzbiografie von 1970) Kämpfer gegen den sog. Hitler-Ungeist und die sog. Nazi-Barbarei. Ja, weißgott, in diesem Verein war ich ab Ende 1941 auch schon, was denn sonst.
    *
    Das Gefühlsinteresse des etwa Fünfjährigen und bereits wintersportbegeisterten Kindes an gefrorenen Bächen und Rinnsalen, namentlich an den kleinen Eisschollen und an den rundlichen oder länglichen Schlieren ihres Geäders unter der weißgrauen Decke, es läßt mir keine andere Deutung zu, als daß ich damals schon das innerste Thema der Schubertschen »Winterreise« wenn nicht gemütsmäßig vorausimaginiert, so doch halbkünstlerisch vorausgeahnt habe.
    *
    Für Kleist erfüllte sich die »Gegenwart Gottes« in der Stille der Wälder wie im Geschwätz der Quelle (Brief an die Braut Wilhelmine vom 3.9.1800); für Goethe im Zusammenhang mit Eckermanns stark penetranten Belehrungen über den Kuckuck vor den Toren Weimars, welche der alte Dichter zuerst noch etwas verbittert mit Lob quittiert: »Ich sehe, man mag in die Natur eindringen, von welcher Seite man wolle, man kommt immer auf einige Weisheit« (26.9.1827); dann aber (8.10.1827) sich aufrappelnd oder schon grimmig oder halt einfach nur machtvoll angezwitschert als Bilanzurteil über das Benehmen des inkommensurablen Kuckucks: »Das ist es nun, was ich die Allgegenwart Gottes nenne!«
    So weit würde ich nicht gehen, dem Kuckuck das ausgerechnet zuzuvermuten – die Gegenwart enthüllte sich mir zeitlebens wohl auch nie als All-, sondern allenfalls als Teilgegenwart Gottes, und auch die mehr als zweischneidig. Ja für mich ziemlich blamabel. In der Adventszeit 1947 dürfte es gewesen sein, da wurde mir Gott halbwegs gegenwärtig, er kam als gottkongruentes Christkind zu mir, wie schwere- und gewichtlos, aber doch in kleiner Menschengestalt, kam er in die elterliche Küche geschneit und stellte lautlos irgendetwas Gnadenreiches auf dem Tisch ab, um mich ebenso schwere- und lautlos wieder zu verlassen. Als ich eine halbe Stunde danach meiner seltsamerweise aushäusigen Schwester von dem Wunder berichtete, noch immer erregt und gleichzeitig aber auch wie gebannt, betäubt, windelweich seligkeitsbetäubt, ja wohl erstarrt vor Glück oder vielmehr eben höherer Seligkeit, vor dem, was ich später »das Numinose« zu nennen lernte, vor dem wie auf Engels- bzw. eben Christusschwingen Erschienenen, verzaubert vom ganz und gar noch unbekannten Extraterrestrisch-Metaphysischen: Da zeigte sie, die ältere und bübische Schwester, sich erstaunlich ungerührt, weil klar, sie war ja das Christkind gewesen. Was ich erst später erfuhr, zu meinem Leidwesen erfuhr, denn bis dahin hatte ich an meiner kleinen Gottbegegnung unangefochten festgehalten – und wenn ich heute überlege, welche spätere Begegnung dieser des Sechsjährigen gleichgekommen wäre, dann gerate ich in Verlegenheit – die Stille der Wälder war es jedenfalls nicht und der Kuckuck schon gleich gar nicht; eher schon einmal 1999 zu Weimar der mitternächtliche Gesang einer Nachtigall –
    Eine – Frau? Eine Kantilene? Nein. Genug, wenn mir im Verlauf dieses Buchs noch etwas sowohl mir als Gott einigermaßen Äquivalentes und Brauchbares einfällt, trag ich’s nach. Versprochen.
    »Das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott« (Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher) als der unentrinnbare Grund des Religiösen, Göttlichen – der ist mir aber öfter begegnet. Davon gleichfalls später, vielleicht.
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    »Manche schöne Erscheinung des Glaubens und der Gemütlichkeit« (Heine, Wintermärchen) kreuzte und prägte damals oder etwas später
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