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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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gebührt hätte.

 

     
    EIN KLEINES MÄDCHEN GEHT IN PARIS am Ufer der Seine spazieren. Es ist ein schöner Tag und man sieht einen der Paläste der
     königlichen Familie in der Sonne schimmern. Das Mädchen spielt mit den Steinen, die auf dem Weg liegen, und ist rundherum
     glücklich. Zu Hause warten die Mutter, die ihr alle Freiheiten lässt, und der Vater, ein angesehener Mann. Frieden herrscht
     im Land, die Untertanen des Königs gehen ihrer Arbeit nach und genießen am Abend die verdiente Ruhe.
     
    Christine de Pizan wird 1365 in Venedig geboren. Ihr Vater, Tomaso Pizzano, arbeitet als Astrologe und Physikus. Seine Heimatstadt
     ist Bologna, wo er auch studiert hat. Ausgeübt hat er seinen Beruf zunächst in Venedig. Ein Physikus ist in der Sprache jener
     Zeit nichts weiter als ein Arzt: Er behandelt die
physis
, wie das griechische Wort für Körper lautet. Astrologe kann sich nur derjenige nennen, der sich präzise auskennt in den Bewegungen
     der Himmelskörper und über profunde Mathematik- und Geografiekenntnisse verfügt. Zu den von einem Astrologen zu beherrschenden
     Disziplinen gehört auch die Philosophie. Außerdem hat die Astrologie sich um eine Veredelung des Menschen zu kümmern, indem
     sie ihn die Schönheit des Himmels lieben lehrt. Die Wissenschaft und ihre Wirkung auf die Moral sind also nicht voneinander
     zu trennen. Heute ist das etwas anders, denn man betrachtet das wissenschaftliche Arbeiten im Allgemeinen als »zweckfrei«.
    Über die Mutter von Christine de Pizan wissen wir nur,dass sie die Tochter eines Arztes war. Ihre Erziehung scheint ganz darauf ausgerichtet gewesen zu sein, einmal einen einflussreichen
     und wohlhabenden Mann zu heiraten, wie es im 14.   Jahrhundert üblich war für Töchter aus »gutem Hause«.
    Im Jahr 1368 wird Thomas de Pizan von König Karl V. von Frankreich an dessen Hof nach Paris geholt. Der König hat von den
     außergewöhnlichen Fähigkeiten dieses Mannes gehört und möchte ihn als Leibarzt und Hofastrologen in seiner direkten Nähe haben.
     Karl V. wird von seinen Untertanen »der Weise« genannt, weil er nicht nur gelehrt, sondern auch bedachtsam und mild ist und
     sich dadurch die Liebe und Achtung seines Volkes erobert hat. Von großer Berühmtheit ist auch seine Bibliothek, die mit über
     tausend Handschriften reich bestückt ist.
    Der König empfängt den Physikus und seine Familie im Louvre, für die dreijährige Christine ein äußerst glanzvolles Erlebnis.
     Sie und ihre Mutter sind in prächtige, goldbestickte und edelsteinbesetzte Gewänder gehüllt. Bei Christine de Pizan hinterlässt
     Karl V. einen enormen Eindruck, sodass sich die Begegnung für immer in ihr Gedächtnis einprägt. Zeitlebens wird dieser Herrscher
     ihr als Vorbild für einen König gelten.
    Der Familie geht es hervorragend in Paris. Die Bezahlung ist exzellent und zusätzlich wird der Physikus immer wieder einmal
     großzügig beschenkt, ihr Haus liegt am Ufer der Seine, unweit der Bastille. Hier verbringt Christine eine sorglose Kindheit
     mit ihren zwei jüngeren Brüdern, Aghinolfo und Paolo, die jedoch weit weniger wissensdurstig sind als ihre Schwester. Die
     wünscht sich nichts mehr, als ihrem Vater in dessen umfassender Bildung nachzueifern. Sehr früh schon regt sich bei Christine
     eine überdurchschnittlicheintellektuelle Wachheit. Sie will lernen, und ihr Wissensdurst ist fast nicht zu befriedigen. Der Vater unterrichtet seine
     Tochter unter anderem in Philosophie und so hört Christine de Pizan sicher schon sehr früh etwas über Platon und dessen Lehre
     von den Ideen. Dieser antike Philosoph nimmt hinter der greifbaren Realität eine andere, ideale Welt an, die mit den Sinnen
     nicht zu fassen ist. Thomas’ Beschäftigung mit den Sternen weist ja auch darauf hin, dass er sich nicht zufriedengibt mit
     dem, was direkt vor den Augen liegt.
    Was Christine de Pizan weit weniger gefällt als der Unterricht des Vaters, sind die Bemühungen der Mutter, sie mit Handarbeiten
     vertraut zu machen. Zu kostbar erscheint ihr die Zeit, zu viele interessante Dinge gibt es zu lernen, so vieles scheint unbegreiflich
     und fordert den Verstand heraus. Christine de Pizans Jugend ist ausgefüllt mit Studien, aber auch das direkte Erleben königlicher
     Prachtentfaltung kommt nicht zu kurz. Bei vielen Festlichkeiten und Empfängen von ausländischen Fürsten ist sie dabei, so
     auch, als Kaiser Karl IV. am 4.   Januar 1378 den König besucht. Ein anderes
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