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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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Diejenigen, denen der Zugang zur Universität verwehrt wird, sind ausgegrenzt, unterlegen,
     schwach.
    Eine positive Seite hat der Streit jedoch: Christine wird noch berühmter. Selbst die Königin hat Werke von ihr in der Bibliothek
     stehen, bewundert diese Frau und macht ihr sogar Geschenke. Christine hat eine weitere Einnahmequelle entdeckt: Sie lässt
     alle ihre Handschriften binden und von Handschriftenmalerinnen mit schönen Miniaturen versehen. Die verkauft sie dann an Adelige,
     denen es besonders gefällt, wenn sie sich auf einer der Miniaturen wiedererkennen.
    Christines Sohn ist inzwischen in die Dienste des Herzogs von Burgund getreten. 1404 erhält Christine von Herzog Philipp dem
     Kühnen den Auftrag, ein Buch über die Herrschaft Karls V. zu schreiben, und er stellt ihr hierfür seine gesamte Bibliothek
     zur Verfügung. Das Werk soll einer alten Tradition zufolge dem Volk zur Belehrung dienen. Diese Aufgabe bedeutet auch deshalb
     viel für die schriftstellerische und denkerische Entwicklung Christines, weil sie zum ersten Mal gezwungen ist, Prosa zu schreiben.
     Bisher hat sie alle Werke in Versform verfasst.
    Obwohl Philipp noch im selben Jahr stirbt, arbeitet Christine unbeirrt weiter. Nichts kann sie aufhalten, diese für sie so
     bedeutsame Arbeit zu vollenden. Karl V. dient ihr als Beispiel für einen Menschen, in dem sich Intelligenz, Wissen und Güte
     verbunden haben zum Wohle eines Volkes. Ihr Buch wird später als bedeutendes geschichtliches Dokument gelten.
    Es ist, als wäre Christine erst jetzt wirklich auf der Höheihrer Fähigkeiten angelangt. »Ich habe damit begonnen, anmutige Gebilde zu ersinnen, und diese waren in meinen Anfängen ohne
     allzu viel Tiefgang. Dann aber erging es mir wie dem Handwerker, der mit der Zeit immer kompliziertere Dinge herstellt: In
     ähnlicher Weise bemächtigte sich mein Verstand immer außergewöhnlicherer Gegenstände; mein Stil wurde eleganter, meine Themen
     gewichtiger.« 5 Und wirklich beginnt sie etwa zur gleichen Zeit mit dem Entwurf des Buchs, das sie als Philosophin über die Grenzen des Landes
     und weit über die eigene Zeit hinaus bekannt machen sollte:
Le Livre de la Cité des Dames (Das Buch von der Stadt der Frauen).
Es scheint, als sei alles Bisherige Vorbereitung gewesen, Einübung in Denken und Schreiben.
    Christine beginnt bezeichnenderweise ihre Erörterung mit einer ganz alltäglichen Situation. Sie beschreibt, wie sie sich der
     Lektüre schwieriger Bücher hingibt und dabei ermüdet. Sie hofft, sich ein wenig entspannen zu können mit einem leicht zu lesenden
     Buch, von dem sie schon oft gehört hat, das sie jedoch selbst noch nicht kennt. Es handelt sich um die 1300 entstandenen
Lamentationes Matheoli
des Klerikers Matheus aus Boulogne-sur-mer. Christine liest die französische Übersetzung des in Latein geschriebenen Werkes,
     der die
Lamentationes
ihre große Verbreitung verdanken. »Ich fing also an, darin zu lesen, und kam auch ein Stück voran. Da mir aber sein Inhalt
     für all jene, die an Verleumdung wenig Gefallen finden, nicht sonderlich erheiternd schien, da ich in ihm keinerlei Nutzen
     für den Entwurf eines ethischen oder moralischen Systems erblicken konnte und es außerdem anstößige Ausdrücke und Themen enthielt,
     blätterte ich nur ein wenig darin herum und legte es, mit einem Blick auf den Schluss,beiseite, um mich anspruchsvolleren und nützlicheren Studien zuzuwenden.« 6
    Was aber ist denn so Anstößiges in dem Werk zu finden? Klagen über Klagen sind es und sie betreffen nichts anderes als die
     unsägliche Schlechtigkeit der Frauen. Christine stürzt nach dieser Lektüre in eine tiefe Unsicherheit. Wieder einmal schreibt
     ein gelehrter Mann Niederträchtiges über ihr Geschlecht, wieder werden die Frauen an den Pranger gestellt. Selbstzweifel bestürmen
     sie. Eine Zeit lang glaubt sie sogar, es wäre besser, ein Mann zu sein, wenn denn die Frauen so wenige echte Fähigkeiten besitzen.
     So sitzt sie oft grübelnd und niedergeschlagen an ihrem Schreibtisch. »Während ich mich mit so traurigen Gedanken herumquälte,
     ich den Kopf gesenkt hielt wie eine, die sich schämt, mir die Tränen in den Augen standen und ich den Kopf in meiner Hand
     barg, den Arm auf die Stuhllehne gestützt, sah ich plötzlich einen Lichtstrahl auf meinen Schoß fallen, als wenn die Sonne
     schiene.   ... Ich hob den Kopf, um die Lichtquelle zu suchen, und erblickte drei gekrönte Frauen von sehr edlem Aussehen, die
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