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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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leibhaftig
     vor mir standen.« 7
    In ihrer bilderreichen, sinnlichen Sprache schildert Christine, wie es zu einer Wendung in ihrem Leben kommt. Hautnah können
     ihre LeserInnen miterleben, dass in der größten Not, in einem Moment düsterer Grübeleien, etwas eintritt, das Licht ins Dunkel
     bringt und die Schreibende von ihrer Trübsal erlöst. Denn grüblerisches Nachdenken befreit den Kopf ja gerade nicht, sondern
     stürzt einen nur immer tiefer in einen Kreislauf, der zu keinem Ende führt. Für Christine kommt die Befreiung von diesem deprimierenden
     Zustand blitzartig.
    Wie sich herausstellt, verkörpern diese drei Frauen dreiTugenden: Vernunft, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit. Indem Christine sie als allegorische Figuren einführt, will sie zeigen,
     dass die Tugenden als solche in ihrer wahren Gestalt zu ihr kamen, dass sie keine Hirngespinste sind, sondern fassbare Gestalten.
     Wir heutigen LeserInnen würden sagen, diese Frauen sind Bilder für den inneren Monolog, den Christine führt. Um sich verständlich
     zu machen, lässt sie ihre Gedanken erscheinen, setzt sie diese aus sich heraus und gibt ihnen Körper und Gesicht, Sprache
     und Gesten, Farbe und Licht. Die Plötzlichkeit ihrer Einsicht überwältigt sie. Sie macht sich zwar selbstständig ans Denken,
     aber die Wahrheit, zu der sie gelangt, ergibt sich unvermittelt. Weil Christine eine gläubige Person ist, sind in ihrer Vorstellungskraft
     die Ideen, die ihr aufgehen, Eingebungen Gottes. Gott selbst hat diese drei Damen zu ihr geschickt.
    Die drei edlen Frauen beginnen nun ein Gespräch mit Christine. Die »Frau Vernunft« ist die Erste, und sie stellt vorab klar,
     dass es bei der Frage um die höchsten Dinge des Lebens die größten Probleme und die unterschiedlichsten Meinungen gibt. Man
     schaue sich die berühmten Philosophen einmal an. Einer korrigiert den anderen; manchmal meinen sie auch das Gegenteil von
     dem, was sie niederschreiben. Man kann sich als selbstständiger Mensch nicht einfach ihren Gedanken anvertrauen: »Teure Freundin,
     deshalb sage ich dir zu guter Letzt, dass allein die Einfalt die Ursache deiner gegenwärtigen Auffassung ist. Darum werde
     wieder du selbst, bediene dich deines Verstandes und kümmere dich nicht weiter um solche Torheiten!« 8
    Da meint man doch tatsächlich, vier Jahrhunderte später in der Aufklärung und bei Immanuel Kant gelandet zu sein. Was Christine
     Einfalt nennt, heißt in der Aufklärung »selbstverschuldete Unmündigkeit«, meint aber das Gleiche.Man muss sich seines eigenen Verstandes bedienen, um zur Wahrheit zu kommen. Man darf sich nicht verlassen auf das, was andere
     sagen oder gesagt und geschrieben haben. Demut und Bescheidenheit in Ehren, aber wenn es um die Wahrheit geht, dann muss jeder
     selbst nachdenken. Niemand kann einem die Wahrheitsfindung abnehmen. Der Glaube an Gott reicht nicht aus, um die großen Rätsel
     der Welt zu verstehen. Dem Glauben überhaupt wird aber nicht abgeschworen, lediglich an seiner Allmacht gerüttelt und dem
     Verstand zu seinem Recht verholfen.
    Frau Vernunft erklärt, dass sie und ihre Freundinnen zu Christine gekommen seien, weil diese so kontinuierlich über die großen
     Fragen des Lebens nachgedacht und die Einsamkeit dem Getriebe vorgezogen habe. Chrsitines Beharrlichkeit hat sich also gelohnt.
     Damit ist für sie aber nun auch eine Aufgabe verbunden. Sie soll die »Stadt der Frauen« erbauen – mithilfe der drei edlen
     Damen. Ausschließlich »edle«, das heißt charakterstarke und unabhängige, Frauen sollen die Stadt bewohnen, damit sie vor den
     Anfeindungen der Männerwelt geschützt sind. Frau Vernunft wird ihr helfen, die Grundlagen zu schaffen: »Nach unser dreier
     Ratschluss bin ich damit beauftragt, den Anfang zu machen und dich mit haltbarem, unverfälschtem Mörtel zu versehen, damit
     ein solider Grund gelegt wird; dann um sie herum starke Mauern zu ziehen, hoch, breit, bestückt mit starken Türmen und wehrhaften
     Kastellen mit Gräben, richtigen Bollwerken, mit eben allem, was zu einer stark und dauerhaft befestigten Stadt gehört.« 9
    Wichtig ist vor allem der Grund, ohne den nichts gebaut werden kann, das Bestand haben soll. Frau Vernunft spricht die logische
     Denkfähigkeit an, die sachlich vorgeht. Dersolide Grund und die festen Mauern stehen für die harte Arbeit der Erkenntnis. Bevor die Menschen handeln, müssen sie sich
     zuerst klar werden über die Basis ihres Handelns. Sie müssen versuchen, zu
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