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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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prunkvolles Ereignis ist der Besuch des Sultans von Ägypten. Sehr bunt geht es
     bei allen derartigen Anlässen zu. Überhaupt sprechen die Farben eine ganz eigene Sprache, die jedermann in Frankreich versteht.
     So reitet der Herrscher normalerweise auf weißen Pferden, um seine Macht zu bekunden. Christine de Pizans kindliche Augen
     bekommen reichlich Nahrung. Sie genießt die herrlichen Feste und Empfänge und wird sie nie vergessen.
    Bald aber trifft das Königshaus ein harter Schicksalsschlag: Die Königin stirbt im Februar 1378 bei der Geburt ihrer Tochter
     Katharina. Nicht lange danach geht dasGerücht um, der König solle vergiftet werden. Man macht die beiden des Anschlags verdächtigen Personen dingfest und schlägt
     ihnen den Kopf ab. Für uns heute wäre so ein grausames Vorgehen absolut undenkbar, aber zu jener Zeit war es allgemein üblich.
    Das 14.   Jahrhundert ist für Frankreich das Jahrhundert der Kriege. Ein großes Problem stellen immer wieder die Söldnertruppen dar,
     die man in Friedensphasen entlassen muss und die dann häufig vom Plündern und Stehlen leben. Um sie zu beschäftigen, hat Karl
     V. den bretonischen Ritter Bertrand du Guesclin als obersten Feldherrn eingesetzt, der jedoch schon zwei Jahre später stirbt:
     wieder ein schwerer Verlust für den König.
    All dies bekommen Christine de Pizan und ihre Familie nur entfernt mit. Sie erleben die Regierungszeit Karls V. als eine wunderbare
     Zeitspanne. Für Christine ist es die ruhigste und harmonischste Phase ihres Lebens, an deren Ende noch ein bedeutendes Ereignis
     steht: Sie heiratet im Alter von erst 14   Jahren Etienne Castel, einen Edelmann aus der Pikardie. Er ist der Sohn eines Kammerdieners des Königs. Ein Jahr später wird
     er zum Notar und Sekretär des Königs ernannt. Der jedoch stirbt im September 1380.   Die Gassen der Stadt sind erfüllt vom Wehklagen der Menschen: Der gute, weise, so geliebte König ist tot! Die Untertanen reagieren
     bestürzt, und von einem Tag auf den anderen fällt ein Schatten auch auf das Haus von Christines Familie. Das sorglose Dasein
     ist nun für immer zu Ende. Am Hof seines Nachfolgers, König Karls VI., wird am Können des Arztes und Astrologen gezweifelt,
     hat er doch das traurige Sterben seines Herrn nicht verhindern können. Der neue König denkt nicht daran,die Gunstbezeigungen seines Vorgängers fortzusetzen. Thomas de Pizan wird mit der neuen Situation nicht fertig, beginnt zu
     kränkeln und stirbt schließlich im Jahr 1385.
    Für die junge Ehefrau kommt es jedoch noch schlimmer: 1389 wird ihr geliebter Mann Etienne von einer Seuche dahingerafft.
     Christine de Pizan muss nun mit 25   Jahren ihre drei Kinder alleine erziehen, und das in einer finanziell unsicheren Lage. Außerdem hat sie für ihre Mutter zu
     sorgen, die völlig mittellos dasteht.
    Christine fällt in dieser prekären Lebenssituation das Bild der Frau Fortuna ein. In dieser Zeit ist es üblich, Allegorien
     zu verwenden, das heißt abstrakte Begriffe zu personifizieren, um das Leben besser verstehen zu können. Fortuna wird zumeist
     als Frau mit verbundenen Augen dargestellt, die ein Rad in Bewegung hält, das die Menschen zunächst ganz nach oben hebt, um
     sie dann unerbittlich fallen zu lassen. Diese Art, allgemeine Begriffe ins Bildhafte umzusetzen, ist uns heute fremd. Dadurch
     entsteht aber gerade eine große Anschaulichkeit. Frau Fortuna kann man vor sich sehen, das Schicksal hingegen bleibt unsichtbar.
    Für die Menschen des 13. und 14.   Jahrhunderts haben Begriffe noch etwas mit sinnlichem Begreifenkönnen zu tun. Das ist wichtig zu wissen, wenn man sich Christine
     als einer denkenden Person nähert, die verstehen will, was um sie herum in der Welt und mit ihr selbst geschieht. Christine
     bezieht in ihr Denken nicht nur sich, sondern auch die Gesellschaft, in der sie lebt, immer mit ein. Sie spürt am eigenen
     Leib, was es heißt, gesellschaftlich benachteiligt zu sein, und das Los ihres Vaters hat sie gelehrt, wie schnell einer aufsteigt
     und genauso schnell wiederhinabstürzt. Diese Grunderfahrung prägt ihr weiteres Leben und ihre Arbeit.
    Christine de Pizan beginnt zu schreiben, zunächst Gedichte, die sich vor allem mit verlorener Liebe und dem Witwendasein beschäftigen:
    Aber ach – wo finden jene Witwen Trost,
    Die man um ihr Hab und Gut gebracht?
    Denn in Frankreich, der einstigen Zuflucht
    Der Vertriebenen und der Ratsuchenden,
    Gewährt man ihnen heute keinen Beistand
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