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Denk an unsere Liebe

Denk an unsere Liebe

Titel: Denk an unsere Liebe
Autoren: Berte Bratt
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Umweg gegangen, hatten geredet und geredet, jeder hatte von sich erzählt, und sie begegneten sich – nicht so sehr in gemeinsamem Interesse als im gegenseitigen Interesse für den Lebenskreis des anderen. Und Sympathie schwang zwischen ihnen. Sie trafen sich wieder, machten zusammen Spaziergänge, waren jung und warmblütig, und die Liebe wuchs zwischen ihnen.
    Dann verlobten sie sich. Guter Gott, wie glücklich waren sie gewesen! Toni erinnerte sich an den Hochzeitstag. Und die Hochzeitsreise. Da kam eine kleine schwarze Wolke über ihre hellen Erinnerungen. Diese Tage in Stockholm – warum war es schmerzlich, an sie zu denken? Und die Zeit nachher? Ja, sie wußte doch so betrüblich gut den Grund, warum es kam, wie es kam. Der Grund war ihre Arbeit, die Arbeit, die ihre Kräfte völlig verschlang, ihre gute Laune, schließlich sie selbst, so daß sie ihren Mann vernachlässigte. Aber – war es nur das?
    Toni schloß die Augen. Sie rief sich das Glücksgefühl zurück, das sie durchströmte, als sie ihn nur einen Augenblick auf der Straße erspäht hatte. Die zitternde Liebe, das bewußte Glück, bloß weil Eivind da war – wo war das geblieben? Ein starkes, grelles Licht flammte an einer Stelle in Tonis Gehirn auf. Was war es, das sie ihrem Mann gegenüber verschuldet hatte?
    Sie hatte sich von der Arbeit aufsaugen lassen, das war es – aber das war noch das Geringste. Sie hatte etwas viel, viel Schlimmeres getan: In ihrem sicheren Glauben an Eivinds Treue und eine solide Ehe hatte sie die Liebe hinwelken lassen, hatte sie mit Alltagsarbeit erstickt, untergehen lassen in kühler Sachlichkeit, hatte die Liebe durch etwas ersetzt, wovon sie glaubte, daß es eine haltbare und nette Kameradschaft wäre – aber hatte sie sich nur verheiratet, um einen Kameraden zu haben? Und Eivind! Er mit seiner warmen, beschützenden Natur, er mit seiner Sehnsucht… ja, nach Liebe…
    Was hatte sie getan! Ja – wenn das die Wahrheit war, daß die Arbeit sie kalt und gleichgültig machte, daß sie sie als Frau verdarb, dann – dann – war es trotzdem zu teuer bezahlt, was sie an den Krankenbetten ausrichten konnte. Großer Gott, wie sollte sie dieser Sache auf den Grund kommen, wer sollte dieses Problem für sie lösen, wo fand sie die Hilfe, die sie so nötig hatte?
    Es gab nur einen Menschen, der ihr helfen konnte. Und diesen einen Menschen hatte sie selbst weggeschickt. Und nun saß sie hier, mit unlösbaren Problemen bis zum Hals und dazu einer verantwortungsvollen Arbeit, die Kräfte verlangte, die sie nicht mehr hatte.
    Und mitten in Tonis Qual, mitten in ihren Problemen, ihren Selbstvorwürfen, ihrer Ratlosigkeit und den unbeantworteten Fragen, war nur eine Gewißheit: Die Liebe zu Eivind war nicht tot. Im Gegenteil. Sie flammte höher und höher, sie brannte in ihr, noch wärmer, noch intensiver als damals in der Verlobungszeit. Jetzt war es nicht nur der charmante Kavalier, der ihr Herz höher schlagen ließ. Jetzt kannte sie ihn als Ehemann, als Beschützer, als Kamerad, als Freund und Geliebten – als Menschen.
    Und nun – nun, da es ihr bewußt geworden war, jetzt, da die Liebe wärmer und intensiver als je zuvor strahlte, da es sich zeigte, daß die Liebe aller Mißhandlung der letzten Jahre widerstanden hatte – jetzt war es zu spät.
    Denn jetzt hatte er Siv – Siv, die ihm all jene Zärtlichkeit und Wärme gab, die sie ihm selbst vorenthalten hatte. Und die sie ihm hätte geben können – unabhängig von der Arbeit. Ein Zitat aus einem Ibsendrama.
    „Die Bibel redet von einer geheimnisvollen Sünde, für die es keine Vergebung gibt. Ich habe früher nie verstehen können, was darunter gemeint war. Jetzt verstehe ich es. Die große, unverzeihliche Sünde – das ist die Sünde, die man begeht, wenn man das Liebesleben mordet in einem Menschen.“
    Ja, das war es, was sie getan hatte. Ohne es zu wollen, ohne es selbst zu verstehen, hatte sie das Liebesleben in einem Menschen getötet – sie hatte es in einem grenzenlosen Egoismus getötet. Daß dieser Egoismus auch das Krankenhaus, die Patienten und ihre Arbeit umfaßte, machte ihn gewiß nicht geringer.
    Toni ging zu Bett. Sie wußte, sie würde nicht schlafen. Die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit sich selbst war so dringend, daß sie sie nicht wegschieben konnte. Und Toni kämpfte sich durch diese Nacht. Sie holte tausend kleine Erinnerungen aus ihrer Ehe hervor. Sie erinnerte sich an Eivinds Stimmklang bei den verschiedenen Gelegenheiten –
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