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Denk an unsere Liebe

Denk an unsere Liebe

Titel: Denk an unsere Liebe
Autoren: Berte Bratt
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arbeiten – protestieren Sie nicht, ich sehe es Ihnen an – reiben Sie sich in zwei Monaten auf. Halten Sie Ihre Bürozeit ein, und rühren Sie sich nicht außerhalb Ihrer Bürozeit, ausgenommen, wenn sie an ein Sterbebett gerufen werden.
    Setzen Sie sich in Verbindung mit der Familie des Patienten, wenn dies nötig ist, setzen Sie in Gang, das, was getan werden muß – aber tun Sie es nicht selbst. Verstehen Sie nicht, daß Sie Ihre Kräfte auftanken müssen? Sie zehren und brauchen von Ihrem Kapital, ohne daß neues zufließt. Sie müssen lesen. Lesen Sie überhaupt etwas?“
    „Meist Fachliteratur“, sagte Toni leise.
    „Dachte ich es mir doch! Lesen Sie ordentliche Literatur, und lesen Sie Zeitungen. Ich möchte darauf wetten, daß Sie nicht einmal wissen, was in der Welt vorgeht. Gehn Sie ins Kino, reisen Sie, wenn Sie Gelegenheit dazu haben. Gehn Sie bummeln, zum Teufel. Machen Sie zunächst einmal eine ganz große Umorganisation in Ihrer Arbeitsmethode. Lassen Sie den Menschen nicht von der Arbeit verschlingen. Und wenn Sie trotz meiner glänzenden Redegabe immer noch nicht überzeugt sind, habe ich noch eine Rosine im Kuchen, nämlich: Sie müssen abschalten. Wenn Sie erstklassige Arbeit auf dem unendlich schwierigen Gebiet Ihres Wirkungsfeldes leisten wollen, müssen Sie ausgeruht und klardenkend sein. Habe ich recht, oder habe ich nicht recht?“
    Toni schwieg. Ingenieur Wolter auch. Toni stand auf, ging zum Fenster hin, blieb mit der Stirn an den Fensterrahmen gelehnt stehen. Zum Schluß sagte sie mit einer leisen, etwas belegten Stimme:
    „Ich glaube fast, Sie haben recht.“
    Ingenieur Wolter schwieg eine Weile. Dann sagte er – und seine Stimme war verändert – sie war leise und sanft und warm:
    „Kommen Sie her, Fünkchen.“
    Sie wandte sich langsam und ging zum Bett. Er streckte die Hand aus und nahm die ihre, strich sie behutsam.
    „Arme Kleine.“
    Die zwei Worte waren zuviel für Toni. Gerade diese beiden Worte.
    Zum dritten Male im Laufe von drei Tagen stürzten ihr Tränen aus den Augen.
    „Soso – Kleines.“ Sein Arm hob sich, seine Hand legte sich um ihren Nacken und zog sie zum Bett herunter.
    „So, Kleines, hier haben Sie eine Schulter, an der Sie sich ausweinen können, wenn es auch nur eine armselige Patientenschulter ist. Weinen Sie sich aus, aber machen Sie es rasch, denn ehe Sie es ahnen, kommt eine Schwester mit einer Spritze, oder einem Medizinfläschchen oder noch Schlimmerem.“
    Da mußte Toni lachen, in all ihrem Elend. Das Weinen hörte auf, und sie trocknete ihre Augen.
    „Waschen Sie Ihr Gesicht“, befahl Wolter. „Gott sei Dank ist das ein modernes Krankenhaus mit Waschbecken in den Zimmern. Da rechts liegt ein reines Handtuch.“
    Toni gehorchte.
    „Und denken Sie daran, daß ich mir selber die strengste Schweigepflicht auferlegt habe. Sie sollen es nicht bereuen, daß Sie offenherzig gewesen sind, oder richtiger, daß Sie mir erlaubt haben, offenherzig für Sie zu sein. In ein paar Tagen, wenn diese lächerliche Geschichte bei mir vorbei ist, müssen Sie kommen und mich besuchen. Morgen um diese Zeit liege ich wohl hier und spucke nach der Narkose. Aber übermorgen müssen Sie bei mir hereinschauen. Jetzt höre ich berufsmäßige Schritte auf dem Gang. Es ist besser, wenn Sie nun verschwinden.
    Aber, hören Sie, Fünkchen, haben Sie etwas zum Lesen? Nein, das dachte ich mir. Nehmen Sie das Buch auf dem Nachttisch, es ist fantastisch gut. Ich lese heute doch nicht mehr. Ich muß ja anstandshalber meine guten und schlechten Taten sammeln und eine Art von geistigem Testament machen vor der Operation. Wenn ich sterbe, können Sie das Buch als freundliche Erinnerung behalten. Aber ich nehme an, daß ich in einer Woche wieder springlebendig bin. Viel Glück, Fünkchen!“
    Und dann stand Toni außerhalb seiner Tür, mit dem Buch in der Hand. Sie sah es an. „Kallocain“, stand darauf. Jetzt erinnerte sie sich, Eivind mit dem Buch in der Hand gesehen zu haben. Sie selbst hatte keine Zeit gehabt, es zu lesen und auch keine Zeit zuzuhören, als Eivind davon erzählte.
    Und an diesem Tag beendete sie ihre Arbeit genau um drei Uhr. Nachmittags machte sie einen Spaziergang, nahm dann ein Bad und ging zeitig zu Bett.
    Und obwohl sie dann noch bis um zwei Uhr las, fühlte sie sich frisch und ausgeruht, als sie am Morgen erwachte.
    Das erste, was sie tat, war, nach Ingenieur Wolter zu fragen.
    Er war um acht Uhr früh operiert worden, und alles war gut
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