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Deniz, die Lokomotive

Deniz, die Lokomotive

Titel: Deniz, die Lokomotive
Autoren: Joachim Masannek
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ganz tief und ernst in die Augen.
    „Doch, das wirst du. Ganz bestimmt wirst du das. Du bist mein Sohn, Deniz. Und wenn du dann in dieses Stadion gehst, mit der Sporttasche in der Hand, wirst du wissen, wie sehr ich schon jetzt an dich glaube.“
    Damals nahm er mich ganz fest in den Arm, und so sehr ich mir wünschte, dass er das jetzt, in diesem Augenblick, noch einmal tat, so genau wusste ich auch, dass ich niemals zu Böckmann zurückgehen würde. Dafür war ich zu stolz, und außer-dem wollte ich immer im besten Team spielen. Ich wollte immer nur siegen. Ja, und deshalb frage ich euch: Welche Fußballmannschaft ist besser als die der Wilden Fußballkerle e.W. ?

Ich werd es euch allen beweisen!
    Am Montag verließ ich den Hort schon eine Stunde früher als sonst. Um drei Uhr nachmittags schob ich meine Sporttasche zum Klofenster raus und kletterte heimlich hinter ihr her. Dann robbte ich über die Wiese, schlüpfte hinter dem Hausmeisterschuppen unter dem Maschendrahtzaun hindurch auf die Straße und rannte, so schnell ich konnte, davon.
    Rechts neben mir ragten die Mietshäuser des Carl-Orff-Bogens in den Himmel empor. In der Nummer 9 wohnten wir. In der neunten Etage. Das taten wir, weil ich einmal die größte Nummer 9 werden würde, die es auf der ganzen Welt gab. Das hatte mir mein Vater versprochen, als wir in die Wohnung einzogen. Doch der Carl-Orff-Bogen lag in Freimann, im Norden von München, und Grünwald war im Süden, genau am anderen Ende der Stadt. Ich war eine Weltreise von den Wilden Kerlen entfernt, und damit auch eine Weltreise entfernt von dem Ziel, jemals wieder als Nummer 9 spielen zu können. Doch ich würde es schaffen. Ich würde es allen beweisen. Mich warf niemand mehr aus einer Mannschaft heraus. Und mit diesem Entschluss marschierte ich auf die U-Bahn zu.
    Als Erstes musste ich zum Sendlinger Tor. Dahin fuhr die U6. Ich hatte alles geplant, und Fräulein Hexerich, meine alte, grantige Hortlehrerin, hatte mir dabei begeistert geholfen. Ja, jetzt könnt ihr mal richtig laut lachen. Sie hatte fast einen Luftsprung gemacht, als ich ihr nach den Hausaufgaben meinen Plan erzählte. Nein, natürlich nicht, dass ich ausbüchsen wollte. Und auch nicht von der Idee, allein mit neun Jahren durch die ganze Stadt zu fahren. Das hätte sie niemals erlaubt. Nein. Ich erzählte ihr einfach, dass ich vorhatte, einen Aufsatz zu schreiben. Freiwillig natürlich, weil mir plötzlich so danach war. Einen Aufsatz über einen kleinen Jungen, der wie ich in Freimann wohnte, und der nichts anderes wollte, als seine arme und alte und kranke und gehbehinderte Oma in Grünwald zu besuchen.
    Meiner Hortlehrerin fiel das Kinn auf die Brust, und für einen Augenblick war ich fest davon überzeugt, dass meine Geschichte zu dick aufgetragen war. Sie passte doch eher zu einem siebenjährigen Mädchen mit einer Angorameerschweinchen-Zucht. Doch Fräulein Hexerich liebte diese Mädchen so sehr, wie sie uns hasste.
    Uns Jungen, die laut waren und immer nur wild. Immer wollten wir stärker und größer und besser sein als die anderen, und das hasste sie so, dass sie sich wünschte, auf einer Mädchenschule zu sein. Genau, und dieser Wunsch ging für sie jetzt in Erfüllung. Fräulein Hexerich fiel das Kinn jetzt bis in den Schoß. Sie konnte es einfach nicht fassen: Deniz, der Türke, das schlimmste von allen männlichen Kindern, hatte sich freiwillig in ein Mädchen verwandelt! Nachdem sie ihr Kinn auf dem Fußboden wiedergefunden hatte, sprang sie von ihrem Stuhl, zog eine U-Bahn- und Straßenbahnkarte vor die Tafel und beantwortete meine Fragen.
    Immer wieder erklärte sie mir den Weg. Zuerst mit der U6 bis zum Sendlinger Tor. Dann umsteigen in die U1. Zwei Stationen Richtung Mangfallplatz und am Wettersteinplatz dann in die Straßenbahn. „Aber dort muss dein Junge aufpassen, hörst du? Nur die 25 fährt bis nach Grünwald. Die 15 kehrt schon an der Großhesseloher Brücke wieder zurück. Wo wohnt denn die Oma überhaupt?“, fragte sie mich und zog eine andere Rollkarte mit dem Stadtplan von Grünwald von der Decke herab vor die Tafel.
    „Im Teufelstopf !“, antwortete ich verschmitzt und gerissen, und sofort begann Frau Hexerich mit der Suche.
    „Im Teufelstopf ? Im Teufelstopf ?“, murmelte sie, durchkämmte das Straßenregister der Karte vergeblich und drehte sich urplötzlich und deutlich erregt zu mir um.

    „Im Teufelstopf ?“, zischte sie so argwöhnisch und schnippisch, wie ich sie kannte. „Deniz!
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