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Deniz, die Lokomotive

Deniz, die Lokomotive

Titel: Deniz, die Lokomotive
Autoren: Joachim Masannek
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riss sein Fahrrad wie ein Pony herum und jagte so schnell davon, dass er bestimmt nicht abspülen musste.

Pass gut auf sie auf!
    „Und? Wie hoch habt ihr diesmal gewonnen?“, fragte mein Vater, als ich in unser Wohnzimmer kam. Er saß auf dem Sofa und schaute im Fernsehen „Ran“. Meine Mutter kam sofort aus der Küche, als sie die Frage hörte, und Tolgar und Boran, meine beiden Brüder, die auf dem Teppich vor dem Fernseher lagen, hoben interessiert ihre Köpfe. Die Bundesliga war plötzlich zur Nebensache geworden. Und es interessierte auch niemanden, wo ich mich den ganzen Tag bis zum Abend rumgetrieben hatte.

    „Wir haben Neuperlach Elf zu null weggeputzt!“, grinste Tolgar, der, obwohl noch nicht einmal sieben, schon zur F1 der Münchner Löwen gehörte.
    „Und wir haben Poing geschlagen! Neun zu eins“, beeilte sich Boran. Er war zwölf und spielte beim FC Freimann . „Ja, und drei der neun Kisten kamen von mir. Obwohl ich Verteidiger bin.“
    „Ich habe fünf geschossen!“, wetteiferte Tolgar. „Fünf, und zwei davon mit dem Kopf.“
    Mein Vater streckte sich stolz, und meine Mutter strich Tolgar über das Haar.
    „Und? Was ist mit dir?“, fragte sie. „Deniz, wie oft hast du getroffen?“
    Ich schluckte. Dann sagte ich leise.
    „Zwei. Ich ha-hab zwei Tore geschossen. A-haber der Trainer der anderen hat mich gefragt, ob ich bei ihm spielen will.“
    Mein Vater pfiff durch die Zähne.
    „Wow. Das ist cool. Boran, Tolgar! Habt ihr das gehört. Man reißt sich um Deniz. Er ist begehrt. Und ich wette mit euch: Bald werden sich die Bayern um ihn bewerben.“
    „Das glaube ich nicht!“, petzte Tolgar. „Deniz hat heute verlor’n. Zwei zu drei. Und das gegen ein jüngeres Team!“
    „Ich bin selbst noch ein Jah-har zu jung für die E1!“, konterte ich.
    „Genau! Und deshalb spielst du auch wie in der Pampersliga“, spottete Boran. „Du gibst nie ab. Du hast es versiebt, und der kahle Böckmann hat dich zum Teufel gejagt. Du bist raus aus dem Team.“
    Das Gesicht meines Vaters verdunkelte sich.
    „Einen Moment!“, stammelte er. „Sag das nochmal!“
    „Böckmann hat ihn aus der Mannschaft geworfen!“, höhnte Tolgar, und Boran fügte hinzu: „Deniz hat es versiebt. Ein einziger Pass, und sie hätten heute gewonnen!“
    Mein Vater stand jetzt ganz langsam auf.
    „Ist das wahr?“, flüsterte er. „Deniz, ich hoffe, dass das alles nicht stimmt.“
    Ich schluckte, aber ich konnte einfach nicht lügen.
    „Doch“, nickte ich. „Sie ha-haben Recht.“
    „Nein, das haben sie nicht!“, sagte meine Mutter entsetzt. „Deniz, das ist das dritte Mal, dass dir so was passiert.“
    „Ja, a-haber, die Wilden Kerle . Ich meine, ihr Trainer, de-her will doch, dass ...!“
    „Du bleibst da, wo du bist!“, donnerte mein Vater. „Und am Montag gehst du zu diesem Herrn Böckmann und bittest ihn, dass du wieder mitspielen darfst. Haben wir uns verstanden?“
    „A-haber er will mich doch nie wieder ...!“
    „Krieg das hin, oder du kannst das Fußballspielen vergessen!“, fuhr mir mein Vater über den Mund.
    „Und jetzt ab! In dein Zimmer! Ich will dich nicht sehen!“
    Jetzt war es still.
    Im Fernsehen schoss Schalke gerade ein Tor, doch der Jubel der Fans wurde von dieser Stille erstickt. Alle schauten mich an, und ich ertrank im Blick meines Vaters. Seine Augen waren so oft die lustigsten und stolzesten Augen der Welt. Doch jetzt waren sie unbarmherzig und hart. Ich suchte Hilfe bei meiner Mutter. Aber die schüttelte nur ihren Kopf. Es blieb mir nichts anders übrig. Ich ging in das Zimmer, das ich mit meinen Brüdern Boran und Tolgar teilte, und pfefferte die Sporttasche zusammen mit meiner uralten und viel zu großen Motorradjacke gegen die Wand.
    Dort blieb sie liegen, und dort lag sie noch, als die Nacht hereinbrach. Man konnte sie kaum noch sehen. Draußen lachten meine Eltern und meine Brüder. Wie jeden Samstag spielten sie „Party Time“. Ich liebte das Spiel und ich liebte die Samstagabende, an denen wir es spielten.
    Irgendwann gingen meine Brüder ins Bett. Ich gab vor, schon zu schlafen, doch in Wirklichkeit lugte ich unter der Bettdecke vor und schaute zu der Tasche hinüber. Mein Vater hatte sie mir geschenkt. Zu meinem letzten Geburtstag.
    „Pass gut auf sie auf!“, hatte er damals gesagt. „Irgendwann trägst du sie als Profi in ein Bundesligastadion hinein.“
    Ich lachte und schüttelte meinen Kopf. Doch mein Vater packte mich bei den Schultern und schaute mir
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