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Deniz, die Lokomotive

Deniz, die Lokomotive

Titel: Deniz, die Lokomotive
Autoren: Joachim Masannek
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wirklich geschafft!“, nörgelte Böckmann und drehte sich zu den Zuschauern um. „Habt ihr das eben gesehen? Diese Blindfische schießen ein Tor!“
    Das war mehr Lob, als ich aushalten konnte. Unser Trainer kühlte mindestens um 140 Grad ab. Spott tut halt gut – und mich trieb er an. Hey! Das war ironisch gemeint! Doch trotzdem hatte ich zwei Minuten später wieder den Ball, marschierte mit ihm an der rechten Außenlinie entlang, ließ Maxi, Jojo, und Rocce links neben mir stehen und nahm mit aller Wut Maß. Zwanzig Meter vom Tor entfernt war das Größenwahn pur, besonders wenn ein Kerl wie Markus im Tor stand. Doch meine Wut und meine Angst waren größer. Die Angst vor der Lava und dem Sternenhaarkranz um sie herum. Ich traf den Ball ganz primitiv mit der Picke, dem Bauernspitz, doch das war egal. Wie ein Blitz zischte er eine Handbreit über das Gras und schlug in der linken unteren Torecke unhaltbar für den Unbezwingbaren ein.
    „Sumpf!“, machte es dieses Mal nur, und dann war es still. Die Wilden Kerle schauten sich an, als wüssten sie nicht, was mit ihnen passiert. Zwei zu drei stand es jetzt. Alles war wieder offen, und ich rannte stolz an unserem Trainer vorbei.
    „Hey! Friede-ha-rich!“, rief ich und grinste ihn an. „Hab ich das gut gema-hacht? War mein Schuss nicht abgrundtief-böse-gemein?“
    Doch mein Trainer holte zum ersten Mal seit dem Null zu drei wieder Luft. Wie ein Monster tauchte er aus einem Meer von Wut auf.
    „Ich werd dir gleich zeigen, was böse ist und gemein! Ab in deine Hälfte mit dir! Oder soll ich dir Beine machen? Hadschi Ben Alef, falls du das noch nicht mitgekriegt hast: Wir liegen zurück!“
    Natürlich wusste ich das, und ich wusste auch, dass ich besser daran tat, das zu verändern. Sonst würde die Zeit nach dem Schlusspfiff ein Horrorfilm sein, so was wie Jurassic Park 5. Ich konnte den Wiederanpfiff kaum noch erwarten. Es blieb uns nur noch eine einzige Minute. Dann war das Spiel aus und vorbei, und die Wilden Kerle ließen sich verständlicherweise mehr als viel Zeit.
    Sie wechselten noch einmal aus, und für Leon kam jetzt ein Junge mit langen rotbraunen Zotteln. Er stellte sich vor mir auf, grinste mich an, nahm den Ball von Marlon entgegen, tunnelte mich und stürmte mit dem Leder davon.
    Ich schaute ihm nach, als hätte mich ein boxendes Känguru ausgeknockt. Die Rückennummer des Jungen war die 5, doch darüber stand klar und ganz deutlich: Vanessa, die Unerschrockene.
    Dreibeiniger Ochsenfrosch! Fliegender Orientteppich und sechsfach geknutschtes Mamasöhnchen! Mich hatte ein Mädchen verladen. Oh, Mann, war das peinlich! Und als ginge es um Leben und Tod, sauste ich hinterher.
    Kurz vor dem Strafraum holte ich auf. Doch Vanessa wusste längst, dass ich kam. Sie hat auch am Hinterkopf Augen. Sie ist eine Spinne, das sage ich euch, und deshalb wartete sie nur, bis ich grätschte. Dann spielte sie ab. Einen blitzschnellen Doppelpass mit Fabi, dann mit der Hacke nach links.
    Dort kam ein Wilder Kerl aus dem Nichts und holte aus vollem Lauf aus. Mit weit aufgerissenem Mund und riesigen Augen hinter einer Coca-Cola-Glas-Brille schoss er mit links. Seine roten Locken wehten wie Feuer um seinen Kopf, und die 99 auf seinem Rücken machte ihn cool. Übercool! Und genau so übercool dotzte Raban, der Held, noch beim Schuss auf den Po und donnerte den Ball drei Stockwerke hoch über das Tor.
    „Verflixte Hühnerkacke!“, begann er zu fluchen und hörte gar nicht mehr auf. „Den hab ich wohl ein bisschen verzogen! Sakra-Rhinozeros-Pups! Das war auch gar nicht so einfach. Ich hab ihn mit links nehmen müssen. Mit links, hört ihr, mit meinem schwächeren Fuß! Beim Fettnäpfchenflaschengeist!“
    Doch die Wilden Kerle trabten einfach zurück. Nicht einmal ihr Trainer, der in seinem Nadelstreifenanzug am Spielfeldrand stand, sagte ein Wort. Ja, und Vanessa lief sogar zu dem Trottel hin und gab ihm einen freundlichen Klaps.
    „Vergiss es!“, sagte sie einfach zu Raban, und dann liefen beide zurück.
    Ich aber blieb am Strafraumrand stehen. Der Torwart spielte mir den Ball zu und wollte ihn zum Hochabstoß wieder zurück. Doch ich dachte gar nicht daran. Ich stürmte los. Über das Feld. Freund und Feind huschten schemenhaft an mir vorbei. Dann tauchte der Platz in milchigen Nebel. Auf jeden Fall sah es so für mich aus. Doch ich war das gewohnt. Ich schaute einfach auf meine Füße. Auf die Füße und auf den Ball. Dann sah ich das Tor der Wilden Kerle vor mir.
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