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Den Tod vor Augen - Numbers 2

Den Tod vor Augen - Numbers 2

Titel: Den Tod vor Augen - Numbers 2
Autoren: Rachel Ward
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sieht wirklich so aus. Es sieht so aus, als hätte ich sie gerettet. Und doch. Und doch …
    Sie ist ganz nah bei mir. Ihre Hand liegt auf meinem Gesicht, berührt mich. Sie lächelt nicht. Sie schaut mich ernst an. Sie ist jetzt ruhiger, starrt mich an und ich starre sie an.
    Ich habe erlebt, wie Menschen von alten Seelen sprachen, und nie verstanden, was sie damit meinten. Jetzt weiß ich, was der Ausdruck bedeutet. Es ist etwas Zeitloses an dem Menschen, der mich ansieht. Sie kann nicht erst einen Monat alt sein – sie hat schon so viel gesehen. Sie weiß Bescheid. Sie versteht.
    Ihr Gesicht ist das Letzte, was ich wahrnehme, ehe ich ohnmächtig werde, und es bleibt bei mir, während ich niedersinke und wegdrifte. Es schwebt vor mir, dringt durch die Augen und in meinen Kopf. Es verwandelt sich in mir, verblasst von Farbe zu Schwarz-Weiß und dann ins Negativ, wird hell, wo es dunkel war, dunkel, wo es hell war. Es kehrt sich um, seine Züge zerfallen und tanzen, dann fügen sie sich in falscher Ordnung wieder zusammen, quälen mich mit der Frage, was ein Gesicht eigentlich ist. Es ist ein Spiel. Ich weiß, es ist nur ein Spiel, aber ich wünsche mir nichts sehnlicher, als ihr Gesicht wieder so zu sehen, wie es sein sollte. Ich will, dass es richtig herauskommt. Die Teile müssen sich wieder so zusammenfügen, dass es einen Sinn ergibt. Wenn mir das nicht gelingt, wird alles verkehrt sein. Wenn es mir nicht gelingt, kann ich genauso gut sterben.
    Vorher waren Geräusche da – knisternde Flammen, ein Zischen und Stöhnen aus dem brennenden Gebäude, Rufe und Schreie.
    Jetzt ist kein Geräusch da, nur Stille, die klingt wie ein Schrei.

SARAH
    Es ist wie ein Film, ein Katastrophenfilm. Ich bin mittendrin, aber gleichzeitig schaue ich zu, wie die Dinge um mich herum geschehen.
    Das Haus steht jetzt vollständig in Flammen. Keine Chance, es noch zu retten. Im Garten hinter dem Haus drängen sich Menschen zusammen – um Adam, um Mia und mich. Alles, was man in einem typischen Vorortgarten sieht, ist noch da: eine Schaukel, ein Klettergerüst, ein Trampolin. Dads Leiche liegt einen Meter neben dem Hüpfball. Ursprünglich gehörte er mal mir, später hatten die Jungs ihn. Seine aufgemalten irren Augen und sein Grinsen sehen mich an. Dads Gesicht ist abgedeckt. Jemand hat einen Mantel über ihn gelegt, doch seine Hände und Beine ragen heraus.
    Als ich ihn anschaue, frage ich mich, was ich empfinden sollte. Denn ich empfinde nichts, noch nicht. Es ist nur eine Leiche unter einem Mantel. Verstörender ist es, an Mum zu denken. Die Flammen werden inzwischen den Schrank erreicht haben. Sie wird zu Asche verglühen. Es ist zu schrecklich, daran zu denken.
    Ich stehe in ihrer Schuld. Was immer auch war, als ich noch zu Hause wohnte, sie hat Mia gerettet. Selbst, als sie schon tot war, hat sie sie beschützt.
    Ich schaue zurück zum Haus.
    »Danke«, sage ich innerlich. »Ich liebe dich, Mum.« Tu ich das? Liebe ich die Frau, die sich blind stellte? Habe ich sie geliebt? Liebe ich sie? Die Flammen brüllen jetzt wie ein Tier, schicken glühende Asche und Rauch hoch hinauf in den Himmel. Ich beuge den Kopf zurück, um zu schauen, wo es endet. Aber ich sehe es nicht.
    »Er stirbt«, sagt jemand. Die Worte holen mich zurück auf die Erde. Es geht um Adam. Sie meinen Adam.
    Er liegt noch immer auf der Seite, aber die Augen sind geschlossen. Seine Haut auf dem Rücken und an den Schultern ist bleich geworden – weiß gebrannt vom Feuer.
    »Er hat einen Schock.«
    All die Wochen und Monate in meinem Albtraum war ich so verzweifelt wegen Mia. Meine Panik, meine Angst war auf sie fokussiert. Nur der eine Gedanke verfolgte mich. Ich war sicher, sie würde sterben.
    Ich hatte nie daran gedacht, dass es Adam sein würde.
    »Geh nicht, Adam. Geh nicht.«
    Er reagiert nicht. Die Augen sind jetzt geöffnet, doch sie sind starr auf einen Punkt fixiert. Sein Gesicht entspannt sich langsam. Er ist fast tot.
    Ich setze Mia vorsichtig auf den Boden, dann lege ich Adams Gesicht in meine Hände und senke meines, halb hockend, halb liegend an seins.
    »Adam. Schau mich an. Schau mich an.«
    Seine Augen sind offen, aber er sieht mich nicht. Keine Verbindung.
    »Adam. Bitte, bitte!«
    Ich beuge mich vor und küsse ihn sanft. Sein Mund schmeckt nach Rauch. Er küsst mich nicht zurück.
    »Es ist vorbei«, sagt jemand.
    »Nein! Nein, das kann nicht sein!« Ich strecke mich noch ein bisschen weiter vor und küsse seine Augen. Als ich den Mund
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