Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition)
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
Vom Netzwerk:
Winken, hier bin ich, hier stehe ich, jetzt bin ich endlich aus der Stadt und hier zu dieser Insel im Meer gekommen, über die ich so viel gehört und gelesen habe, die sich aber dennoch von einer dermaßen überraschenden Seite zeigt, ja, ist es nicht sogar ein bisschen witzig, dass dieser triefnasse Stadtmann da steht und winkt, sodass das Wasser von seinen Fingerspitzen spritzt?
    Doch.
    Sie springt von der Ladefläche und fällt mir um den Hals, noch ehe der Fahrer den Traktor anhalten kann, und da stehe ich nun und registriere, dass ich ganz ohne Scheu in meinen Fantasien immer wieder ihren Rücken streichele, den schmalen Rücken, und ich rieche ihre Haare, die riechen nach Äpfeln und Salzwasser, so weich und warm, ehe sie zurücktritt und mir auf jede Schulter eine Hand legt und mich mit diesem ein wenig seltsamen schelmischen Blick ansieht, mit diesen Augen, die ich also immer mit etwas Schwedischem verbinde, dem Blick, der mich ein wenig wacklig in den Knien macht, das heißt, etwas hinten in meinen Kniekehlen scheint zu schmelzen, etwas im Knorpel oder vielleicht in den Sehnen, und natürlich ist das nur Unsinn, das alles spielt sich doch in meinem Kopf ab, das habe ich nach all diesen Jahren immerhin gelernt, ich habe gelernt, dass vieles und manches ganz anders ist, als es im ersten Moment aussieht. Nehmt doch diesen Mann, der hier in all seiner reservierten Macht dasteht und nicht einmal seinen Namen hergibt, auch nicht, als ich ihm meinen gebe, der nur zögernd die Hand ausstreckt, als ich ihm meine eigene anbiete. In einem früheren Leben hätte ich ihn zur Rede gestellt, ich hätte ihm etwas über das Geheimnis der Zivilisation erzählt, über die Kommunikation zwischen den Einzelindividuen als eigentliche Grundlage für den Aufbau einer modernen, funktionierenden Gesellschaft, aber das kann jetzt auch egal sein, denn durch Berits viele Briefe und nicht zuletzt durch lange nächtliche Telefongespräche habe ich so einiges über das Wesen der Inselbevölkerung gelernt, vor allem über deren männlichen Teil, einmal schreibt Berit, dass die Männer hier oben in vieler Hinsicht Ähnlichkeit mit Kühen haben, sie stehen da und kauen und glotzen einen blöd an, eine Charakteristik, die ich damals für einen winzigen Flirt damit gehalten habe, was vermutlich Berits Vorstellungen über meine Vorurteile sind, die Fehlkenntnisse des Stadtmannes über Bauern und Fischer im Nordwesten des Landes. Die also auf den ersten Blick so einiges mit der Wirklichkeit zu tun zu haben scheinen. Aber da es plötzlich aufhört zu hageln, kommt es zu einer Art Gespräch, an dem wir uns von Mann zu Mann beteiligen, und als ich mich ein weiteres Mal vorstelle, stellt es sich heraus, dass der Mann Reinert heißt, auf eine direkte Frage sagt er das ganz offen, und Berit lacht mit weißen Zähnen und schüttelt freundlich den Kopf, was wiederum uns, Reinert und mich, veranlasst, einander verständnisinnig anzulächeln, obwohl wir doch im Grunde noch zu rein gar keinem Verständnis gelangt sind. Aber ich denke, dass wir von nun an aller Wahrscheinlichkeit nach miteinander auf Grußfuß stehen werden, wenn die physische Entfernung zwischen uns nicht zu groß ist. Wir werden nicht an entgegengesetzten Feldrainen mit den Armen fuchteln, aber es wird wohl zu einem Nicken kommen, wenn wir einander auf der Straße begegnen.
    Und Berit fragt nach der Reise, und ich erzähle von der Reise, und sie fragt, ob ich Hunger habe, und ich sage, dass ich pappsatt bin, auch wenn mein Gedärm schreit, ich habe keine Ahnung, warum ich behaupte, satt zu sein, warum um alles in der Welt lügt man über solche Dinge, und ich versuche, Reinert dazu zu bringen, ein wenig über Fischerei und Landwirtschaft zu erzählen, und er sagt »ohoch«.
    Aber dann fängt es wieder an zu regnen, und das Regenwetter scheint ihn auf irgendeine Weise zu beleben, »werden wohl sehen«, sagt er. Dann läuft er zum Traktor hinüber, holt einen grünen Regenmantel und reicht ihn mir, und als ich den anziehe, passiert etwas, worüber ich in den folgenden Tagen und Wochen staunen werde, ja, worüber ich ehrlich gesagt bis zum heutigen Tage keine Klarheit gewonnen habe. Es verhält sich nämlich so, dass Berit einen kleinen Ausruf ausstößt. Es ist kein ganzer Satz und auch kein kurzes verständliches Wort, es ist einfach nur eine Art verdutztes Quaken, und ich begreife ja, dass es um etwas geht, dass ihr ganz plötzlich eingefallen ist oder das sie ebenso plötzlich entdeckt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher