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Den du nicht siehst

Den du nicht siehst

Titel: Den du nicht siehst
Autoren: Mari Jungstedt
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hatte sein eigenes Boot genommen. Aber das hielt Knutas fast für ausgeschlossen. Die Polizei durchkämmte die Küste von Fårö. Und wohin hätte er sich wenden sollen? Es gab keinen Schärengürtel, keine nahe gelegenen Inseln, auf denen er Zuflucht suchen konnte. Nach Gotska Sandön oder aufs Festland hätte er kaum unentdeckt gelangen können.
    Sie mussten davon ausgehen, dass er sich noch auf der Insel befand, dachte Knutas und lutschte an einem Stück Würfelzucker, während er sich Kaffee auf die Untertasse goss. Wenn er allein war, trank er den Kaffee aus der Untertasse, genau wie sein Vater das gemacht hatte. Er schlürfte ihn durch das Zuckerstück, das zwischen seinen Zähnen steckte. Knutas fand das beruhigend.
    Soviel er wusste, hatte Jens Hagman auf der Insel keine Freunde oder Verwandten. Der Vater hatte ausgesagt, dass die Familie niemanden auf Fårö kannte, dass sie sich aber oft dort aufgehalten hatten, als die Kinder noch kleiner waren. Damals hatten sie im Sommer einige Male ein Ferienhaus in Ekeviken gemietet. In dieser Gegend kannte Hagman sich also aus, dachte Knutas.
    Im Norden der Insel wurden alle Häuser, Scheunen, Ställe, Schuppen, Ferienhütten, Zelte und Wohnwagen durchsucht. Der Einsatz war noch nicht beendet.
    Wo konnte er sich noch verstecken? Natürlich irgendwo im Freien. Aber das war eher unwahrscheinlich. Das Risiko, entdeckt zu werden, wäre zu groß. Vielleicht hatte er Helfer? Doch auch das war nicht gerade wahrscheinlich. Wer würde einem Mann helfen, der innerhalb weniger Wochen drei Frauen ermordet hatte? Einem Verrückten, dem einfach alles zuzutrauen war?

 
     
     
     
    Sie hatte sich mehrere Strategien zurechtgelegt, bis die Luke wieder geöffnet wurde. Hagman hielt ein Messer in der Hand.
    »Bitte, tu mir nichts«, flehte sie, als er unten angekommen war und vor ihr stand.
    »Und warum sollte ich das nicht tun?« Die Klinge blitzte auf.
    »Ich verstehe ja, warum du die anderen umgebracht hast. Das, was wir dir damals angetan haben, war schrecklich.«
    »Du verstehst überhaupt nichts«, fauchte er, und seine Augen loderten vor Wut.
    Worte waren ihre einzige Waffe. Sie kämpfte weiter.
    »Ich weiß, dass es unverzeihlich war, und seither wollte ich mich schon oft bei dir melden. Ich wollte dich um Entschuldigung bitten. Es tut mir so Leid. Aber wir waren doch nur Kinder.«
    »Nur Kinder«, schnaubte er höhnisch. »Das sagst du. Mein Leben war die Hölle, weil ihr mir das angetan habt. Ich hatte immer so eine verdammte Angst. Ihr habt dafür gesorgt, dass ich nie etwas mit Frauen haben kann. Ich habe es nie gewagt, war unfähig, Freundschaften zu schließen. Ich war einsam. Nur Kinder«, wiederholte er voller Verachtung. »Ihr habt sehr gut gewusst, was ihr da tatet. Ihr habt mein Leben zerstört. Und jetzt müsst ihr dafür bezahlen.«
    Emma überlegte verzweifelt, was sie noch sagen könnte. Um Zeit zu gewinnen. Hatte aber schreckliche Angst, die falschen Worte zu wählen.
    »Warum hast du mich bis zuletzt aufgehoben?«, fragte sie schließlich.
    »Bild dir ja nicht ein, dass das ein Zufall ist. Ich habe mir das alles ganz genau überlegt.«
    »Warum?«
    »Ich wollte mir die, die mich gequält haben, der Reihe nach vornehmen und mit der Schlimmsten anfangen. Und als ich das erledigt hatte, kam Helena an die Reihe.«
    »Was?«
    Ihre Angst wich für einen Moment tiefem Erstaunen.
    Er starrte sie in der Dunkelheit an.
    »Meine so genannte Mutter. Alle glauben, dass sie Selbstmord begangen hat.«
    Er lachte freudlos.
    »Die Polizei ist so leichtgläubig. Sie haben alles geschluckt. Aber in Wirklichkeit war ich es. Ich habe sie umgebracht und jede Sekunde davon genossen. Sie hatte keine Lebensberechtigung. Eine Mutter, die Kinder gebiert und sich danach einen Scheiß um sie schert. Was ist das denn für eine Mutter?«
    Jens Hagman wurde lauter, schrie fast.
    »Was hat sie dir angetan?«, fragte Emma in dem Versuch, ihn zu beruhigen.
    »Für meine Mutter war ich eine wandelnde Missgeburt. Das war ich mein Leben lang. Nicht erwünscht«, sagte er hart. »Aber die Fotze hat dafür bezahlt. Jawohl, das hat sie«, sagte er triumphierend und starrte Emma an.
    Sie konnte den Wahnsinn in seinen Augen nicht übersehen.
    Die Erkenntnis traf sie mit aller Macht. Es gab keine Rettung mehr. Sie würde ihre Kinder nie wieder sehen. Sie gab sich alle Mühe, nicht zu weinen, nicht die Kontrolle zu verlieren.
    In diesem Moment hörte sie das leise Dröhnen eines Motors. Hagman zuckte
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