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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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guten Händen bei deinem Freund Kromer.“
    Ich kam nach Hause, und mir schien, ich sei ein Jahr lang weg gewesen.
    Alles sah anders aus. Zwischen mir und Kromer stand etwas wie Zukunft,
    etwas wie Hoffnung. Ich war nicht mehr allein! Und erst jetzt sah ich, wie schrecklich allein ich wochen- und wochenlang mit meinem Geheimnis gewesen war. Und sofort fiel mir ein, was ich mehrmals durchgedacht hatte: daß eine Beichte vor meinen Eltern mich erleichtern und mich doch nicht ganz erlösen würde. Nun hatte ich beinahe gebeichtet, einem andern, einem Fremden, und Erlösungsahnung flog mir wie ein starker Duft entgegen!
    Immerhin war meine Angst noch lange nicht überwunden, und ich war noch
    auf lange und furchtbare Auseinandersetzungen mit meinem Feinde gefaßt.
    Desto merkwürdiger war es mir, daß alles so still, so völlig geheim und ruhig verlief.
    Kromers Pfiff vor unserem Hause blieb aus, einen Tag, zwei Tage, drei Tage, eine Woche lang. Ich wagte gar nicht, daran zu glauben, und lag innerlich auf der Lauer, ob er nicht plötzlich, eben wenn man ihn gar nimmer erwartete, doch wieder dastehen würde. Aber er war und blieb fort! Mißtrauisch gegen die neue Freiheit, glaubte ich noch immer nicht recht daran. Bis ich endlich einmal dem Franz Kromer begegnete. Er kam die Seilergasse herab, gerade mir entgegen. Als er mich sah, zuckte er zusammen, verzog das Gesicht zu einer wüsten Grimasse und kehrte ohne weiteres um, um mir nicht begegnen zu müssen.
    Das war für mich ein unerhörter Augenblick! Mein Feind lief vor mir davon!
    Mein Satan hatte Angst vor mir! Mir fuhr die Freude und Überraschung durch und durch.
    In diesen Tagen zeigte sich Demian einmal wieder. Er wartete auf mich vor der Schule.
    Grüß Gott“, sagte ich.
    ”Guten Morgen, Sinclair. Ich wollte nur einmal hören, wie dir’s geht. Der
    ”
    Kromer läßt dich doch jetzt in Ruhe, nicht?“
    Hast du das gemacht? Aber wie denn? Wie denn? Ich begreife es gar nicht.
    ”
    Er ist ganz ausgeblieben.“
    Das ist gut. Wenn er je einmal wiederkommen sollte – ich denke, er tut es
    ”
    nicht, aber er ist ja ein frecher Kerl – dann sage ihm bloß, er möge an den Demian denken.“
    Aber wie hängt das zusammen? Hast du Händel mit ihm angefangen und
    ”
    ihn verhauen?“
    Nein, das tue ich nicht so gern. Ich habe bloß mit ihm gesprochen, so wie
    ”

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    mit dir auch, und habe ihm dabei klarmachen können, daß es sein eigener Vorteil ist, wenn er dich in Ruhe läßt.“
    Oh, du wirst ihm doch kein Geld gegeben haben?“
    ”Nein, mein Junge. Diesen Weg hattest ja du schon probiert.“
    ”
    Er machte sich los, so sehr ich ihn auszufragen versuchte, und ich blieb mit dem alten beklommenen Gefühl gegen ihn zurück, das aus Dankbarkeit und
    Scheu, aus Bewunderung und Angst, aus Zuneigung und innerem Widerstre-
    ben seltsam gemischt war.
    Ich nahm mir vor, ihn bald wiederzusehen, und dann wollte ich mehr mit
    ihm über das alles reden, auch noch über die Kain-Sache.
    Es kam nicht dazu.
    Dankbarkeit ist überhaupt keine Tugend, an die ich Glauben habe, und
    sie von einem Kinde zu verlangen, schiene mir falsch. So wundere ich mich über meine eigene völlige Undankbarkeit nicht eben sehr, die ich gegen Max Demian bewies. Ich glaube heute mit Bestimmtheit, daß ich fürs Leben krank und verdorben worden wäre, wenn er mich nicht aus den Klauen Kromers
    befreit hätte. Diese Befreiung fühlte ich auch damals schon als das größte Erlebnis meines jungen Lebens – aber den Befreier selbst ließ ich links liegen, sobald er das Wunder vollführt hatte.
    Merkwürdig ist die Undankbarkeit, wie gesagt, mir nicht. Sonderbar ist mir einzig der Mangel an Neugierde, den ich bewies. Wie war es möglich, daß ich einen einzigen Tag ruhig weiterleben konnte, ohne den Geheimnissen näher zu kommen, mit denen mich Demian in Berührung gebracht hatte? Wie konnte
    ich die Begierde zurückhalten, mehr über Kain zu hören, mehr über Kromer, mehr über das Gedankenlesen?
    Es ist kaum begreiflich, und ist doch so. Ich sah mich plötzlich aus dämo-nischen Netzen entwirrt, sah wieder die Welt hell und freudig vor mir liegen, unterlag nicht mehr Angstanfällen und würgendem Herzklopfen. Der Bann
    war gebrochen, ich war nicht mehr ein gepeinigter Verdammter, ich war wieder ein Schulknabe wie immer. Meine Natur suchte so rasch wie möglich wieder in Gleichgewicht und Ruhe zu kommen, und so gab sie sich vor allem
    Mühe, das viele Häßliche und Bedrohende von sich wegzurücken,
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