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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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Kain und Abel, aber wenig mehr an Demian. Als er mir zuerst wieder nahetrat, war es merkwürdigerweise auch in einem Traume. Nämlich ich träumte wieder von Mißhandlungen und
    Vergewaltigung, die ich erlitt, aber statt Kromer war es diesmal Demian, der auf mir kniete. Und – das war ganz neu und machte mir tiefen Eindruck –
    alles, was ich von Kromer unter Qual und Widerstreben erlitten hatte, das erlitt ich von Demian gerne und mit einem Gefühl, das ebensoviel Wonne wie Angst enthielt. Diesen Traum hatte ich zweimal, dann trat Kromer wieder an seine Stelle.
    Was ich in diesen Träumen erlebte und was in der Wirklichkeit, das kann ich längst nicht mehr genau trennen. Jedenfalls aber nahm mein schlimmes Verhältnis zu Kromer seinen Lauf und war nicht etwa zu Ende, als ich dem Knaben endlich die geschuldete Summe aus lauter kleinen Diebstählen abbe-zahlt hatte. Nein, jetzt wußte er von diesen Diebstählen, denn er fragte mich immer, woher das Geld komme, und ich war mehr in seiner Hand als jemals.
    Häufig drohte er, meinem Vater alles zu sagen, und dann war meine Angst kaum so groß wie das tiefe Bedauern darüber, daß ich das nicht von Anfang an selber getan hatte. Indessen, und so elend ich war, bereute ich doch nicht alles, wenigstens nicht immer, und glaubte zuweilen zu fühlen, daß alles so sein müsse. Ein Verhängnis war über mir, und es war unnütz, es durchbrechen zu wollen.
    Vermutlich litten meine Eltern unter diesem Zustande nicht wenig. Es war ein fremder Geist über mich gekommen, ich paßte nicht mehr in unsre Gemeinschaft, die so innig gewesen war, und nach der mich oft ein rasendes Heimweh wie nach verlorenen Paradiesen überfiel. Ich wurde, namentlich von der Mutter, mehr wie ein Kranker behandelt als wie ein Bösewicht, aber wie es eigentlich stand, konnte ich am besten aus dem Benehmen meiner beiden Schwestern sehen. In diesem Benehmen, das sehr schonend war und mich dennoch unendlich beelendete, gab sich deutlich kund, daß ich eine Art von Besessener war, der für seinen Zustand mehr zu beklagen als zu schelten war, in dem aber doch eben das Böse seinen Sitz genommen hatte. Ich fühlte, daß man für mich betete, anders als sonst, und fühlte die Vergeblichkeit dieses Betens. Die Sehnsucht nach Erleichterung, das Verlangen nach einer richtigen Beichte spürte ich oft brennend, und empfand doch auch voraus, daß ich weder Vater noch Mutter alles richtig würde sagen und erklären können. Ich wußte, man würde es freundlich aufnehmen, man würde mich sehr schonen,
    ja bedauern, aber nicht ganz verstehen, und das Ganze würde als eine Art Entgleisung angesehen werden, während es doch Schicksal war.

22
    Ich weiß, daß manche nicht glauben werden, daß ein Kind von noch nicht elf Jahren so zu fühlen vermöge. Diesen erzähle ich meine Angelegenheit nicht.
    Ich erzähle sie denen, welche den Menschen besser kennen. Der Erwachsene, der gelernt hat, einen Teil seiner Gefühle in Gedanken zu verwandeln, vermißt diese Gedanken beim Kinde und meint nun, auch die Erlebnisse seien nicht da. Ich aber habe nur selten in meinem Leben so tief erlebt und gelitten wie damals.
    Einst war ein Regentag, ich war von meinem Peiniger auf den Burgplatz bestellt worden, da stand ich nun und wartete und wühlte mit den Füßen im nassen Kastanienlaub, das noch immerzu von den schwarzen, triefenden Bäumen fiel. Geld hatte ich nicht, aber ich hatte zwei Stücke Kuchen beiseite gebracht und trug sie bei mir, um dem Kromer wenigstens etwas geben zu können.
    Ich war es längst gewohnt, so irgendwo in einem Winkel zu stehen und auf ihn zu warten, oft sehr lange Zeit, und ich nahm es hin, wie der Mensch das Unabänderliche hinnimmt.
    Endlich kam Kromer. Er blieb heute nicht lang. Er gab mir ein paar Knüffe in die Rippen, lachte, nahm mir den Kuchen ab, bot mir sogar eine feuchte Zigarette an, die ich jedoch nicht nahm, und war freundlicher als gewöhnlich.
    Ja“ , sagte er beim Weggehen, daß ich’s nicht vergessedu könntest das
    ”
    ”
    nächste Mal deine Schwester mitbringen, die ältere. Wie heißt sie eigentlich?“
    Ich verstand gar nicht, gab auch keine Antwort. Ich sah ihn nur verwundert an.
    Kapierst du nicht? Deine Schwester sollst du mitbringen.“
    ”Ja, Kromer, aber das geht nicht. Das darf ich nicht, und sie käme auch gar
    ”
    nicht mit.“
    Ich war darauf gefaßt, daß das nur wieder eine Schikane und ein Vorwand sei. So machte er es oft, verlangte irgend etwas Unmögliches, setzte mich
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