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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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sehr
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    gefallen und gesunken, und doch konnte ich im Grunde nicht so sehr viel dafür!
    Wie war es nun damit? Ja, und jetzt blitzte eine Erinnerung in mir herauf, die mir für einen Augenblick fast den Atem nahm. An jenem üblen Abend, wo mein jetziges Elend angefangen hatte, da war das mit meinem Vater gewesen, da hatte ich, einen Augenblick lang, ihn und seine lichte Welt und Weisheit auf einmal wie durchschaut und verachtet! Ja, da hatte ich selber, der ich Kain war und das Zeichen trug, mir eingebildet, dies Zeichen sei keine Schande, es sei eine Auszeichnung und ich stehe durch meine Bosheit und mein Unglück höher als mein Vater, höher als die Guten und Frommen.
    Nicht in dieser Form des klaren Gedankens war es, daß ich die Sache damals erlebte, aber alles dies war darin enthalten, es war nur ein Aufflammen von Gefühlen, von seltsamen Regungen, welche weh taten und mich doch mit Stolz erfüllten.
    Wenn ich mich besann – wie sonderbar hatte Demian von den Furchtlosen
    und den Feigen gesprochen! Wie seltsam hatte er das Zeichen auf Kains Stirne gedeutet! Wie hatte sein Auge, sein merkwürdiges Auge eines Erwachsenen, dabei wunderlich geleuchtet! Und es schoß mir unklar durch den Kopf – ist nicht er selber, dieser Demian, so eine Art Kain? Warum verteidigt er ihn, 20
    wenn er sich nicht ihm ähnlich fühlt? Warum hat er diese Macht im Blick?
    Warum spricht er so höhnisch von den andern“, von den Furchtsamen, welche
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    doch eigentlich die Frommen und Gott Wohlgefälligen sind?
    Ich kam mit diesen Gedanken zu keinem Ende. Es war ein Stein in den
    Brunnen gefallen, und der Brunnen war meine junge Seele. Und für eine lange, sehr lange Zeit war diese Sache mit Kain, dem Totschlag und dem Zeichen der Punkt, bei dem meine Versuche zu Erkenntnis, Zweifel und Kritik alle ihren Ausgang nahmen.
    Ich merkte, daß auch die andern Schüler sich mit Demian viel beschäftigten.
    Von der Geschichte wegen Kain hatte ich niemandem etwas gesagt, aber er schien auch andre zu interessieren. Wenigstens kamen viel Gerüchte über den Neuen“ in Umlauf. Wenn ich sie nur noch alle wußte, jedes würde ein Licht
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    auf ihn werfen, jedes würde zu deuten sein. Ich weiß nur noch, daß zuerst verlautete, die Mutter Demians sei sehr reich. Auch sagte man, sie gehe nie in die Kirche, und der Sohn auch nicht. Sie seien Juden, wollte einer wissen, aber sie konnten auch heimliche Mohammedaner sein. Weiter wurden Märchen erzählt von Max Demians Körperkraft. Sicher war, daß er den Stärksten seiner Klasse, der ihn zum Raufen aufforderte und ihn bei seiner Weigerung einen Feigling hieß, furchtbar demütigte. Die, die dabei waren, sagten, Demian habe ihn bloß mit einer Hand im Genick genommen und fest gedrückt, dann sei der Knabe bleich geworden, und nachher sei er weggeschlichen und habe tagelang seinen Arm nicht mehr brauchen können. Einen Abend lang hieß es sogar, er sei tot. Alles wurde eine Weile behauptet, alles geglaubt, alles war aufregend und wundersam. Dann hatte man für eine Weile genug. Nicht viel später aber kamen neue Gerüchte unter uns Schülern auf, die wußten davon zu berichten, daß Demian vertrauten Umgang mit Mädchen habe und alles wisse“.
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    Inzwischen ging meine Sache mit Franz Kromer ihren zwangsläufigen Weg
    weiter. Ich kam nicht von ihm los, denn wenn er mich auch zwischenein tagelang in Ruhe ließ, war ich doch an ihn gebunden. In meinen Träumen lebte er wie mein Schatten mit, und was er mir nicht in der Wirklichkeit antat, das ließ meine Phantasie ihn in diesen Träumen tun, in denen ich ganz und gar sein Sklave wurde. Ich lebte in diesen Träumen – ein starker Träumer war ich immer – mehr als im Wirklichen, ich verlor Kraft und Leben an diese Schatten.
    Unter anderem träumte ich oft, daß Kromer mich mißhandelte, daß er mich anspie und auf mir kniete, und, was schlimmer war, daß er mich zu schweren Verbrechen verführte – vielmehr nicht verführte, sondern einfach durch seinen mächtigen Einfluß zwang. Der furchtbarste dieser Träume, aus dem ich halb wahnsinnig erwachte, enthielt einen Mordanfall auf meinen Vater. Kromer schliff ein Messer und gab es mir in die Hand, wir standen hinter den Bäumen einer Allee und lauerten aufjemand, ich wußte nicht auf wen; aber 21
    als jemand daherkam und Kromer mir durch einen Druck auf meinen Arm
    sagte, der sei es, den ich erstechen müsse, da war es mein Vater. Da erwachte ich.
    Über diesen Dingen dachte ich zwar wohl noch an
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