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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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Lehrer gefiel den andern. Er hieß Max Demian.
    Eines Tages traf es sich, wie es in unsrer Schule hie und da vorkam, daß aus irgendwelchen Gründen noch eine zweite Klasse in unser sehr großes Schulzim-mer gesetzt wurde. Es war die Klasse Demians. Wir Kleinen hatten biblische Geschichte, die Großen mußten einen Aufsatz machen. Während man uns die Geschichte von Kain und Abel einbleute, sah ich viel zu Demian hinüber, dessen Gesicht mich eigentümlich faszinierte, und sah dies kluge, helle, ungemein feste Gesicht aufmerksam und geistvoll über seine Arbeit gebeugt; er sah gar nicht aus wie ein Schüler, der eine Aufgabe macht, sondern wie ein Forscher, der eigenen Problemen nachgeht. Angenehm war er mir eigentlich nicht, im Gegenteil, ich hatte irgend etwas gegen ihn, er war mir zu überlegen und kühl, er war mir allzu herausfordernd sicher in seinem Wesen, und seine Augen hatten den Ausdruck der Erwachsenen – den die Kinder nie lieben – ein wenig traurig mit Blitzen von Spott darin. Doch mußte ich ihn immerfort ansehen, er mochte mir lieb oder leid sein; kaum aber blickte er einmal auf mich, so zog ich meinen Blick erschrocken zurück. Wenn ich es mir heute überlege, wie er damals als Schüler aussah, so kann ich sagen: er war in jeder Hinsicht anders als alle, war durchaus eigen und persönlich gestempelt, und fiel darum auf
    – zugleich aber tat er alles, um nicht aufzufallen, trug und benahm sich wie ein verkleideter Prinz, der unter Bauernbuben ist und sich jede Mühe gibt, ihresgleichen zu scheinen.

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    Auf dem Heimweg von der Schule ging er hinter mir. Als die anderen sich verlaufen hatten, überholte er mich und grüßte. Auch dies Grüßen, obwohl er unsern Schuljungenton dabei nachmachte, war so erwachsen und höflich.
    Gehen wir ein Stück weit zusammen?“ fragte er freundlich. Ich war ge-
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    schmeichelt und nickte. Dann beschrieb ich ihm, wo ich wohne.
    Ah, dort?“ sagte er lächelnd.
    Das Haus kenne ich schon. Über eurer
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    Haustür ist so ein merkwürdiges Ding angebracht, das hat mich gleich interessiert.“
    Ich wußte gar nicht gleich, was er meine, und war erstaunt, daß er unser Haus besser zu kennen schien als ich. Es war wohl als Schlußstein über der Torwölbung eine Art Wappen vorhanden, doch war es im Lauf der Zeiten flach und oftmals mit Farbe überstrichen worden, mit uns und unsrer Familie hatte es, soviel ich wußte, nichts zu tun.
    Ich weiß nichts darüber“, sagte ich schüchtern. Es ist ein Vogel oder so
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    was Ähnliches, es muß ganz alt sein. Das Haus soll früher einmal zum Kloster gehört haben.“
    Das kann schon sein“, nickte er. Sieh dir’s einmal gut an! Solche Sachen
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    sind oft ganz interessant. Ich glaube, daß es ein Sperber ist.“
    Wir gingen weiter, ich war sehr befangen. Plötzlich lachte Demian, als falle ihm etwas Lustiges ein.
    Ja, ich habe ja da eurer Stunde beigewohnt“, sagte er lebhaft. Die Ge-
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    schichte von Kain, der das Zeichen auf der Stirn trug, nicht wahr? Gefällt sie dir?“
    Nein, gefallen hatte mir selten irgend etwas von all dem, was wir lernen mußten. Ich wagte es aber nicht zu sagen, es war, als rede ein Erwachsener mit mir. Ich sagte, die Geschichte gefalle mir ganz gut.
    Demian klopfte mir auf die Schulter.
    Du brauchst mir nichts vorzumachen, Lieber. Aber die Geschichte ist tat-
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    sächlich recht merkwürdig, ich glaube, sie ist viel merkwürdiger als die meisten andern, die im Unterricht vorkommen. Der Lehrer hat ja nicht viel darüber gesagt, nur so das Übliche über Gott und die Sünde und so weiter. Aber ich glaube –“, er unterbrach sich, lächelte und fragte: Interessiert es dich aber?“
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    Ja, ich glaube also“, fuhr er fort, man kann diese Geschichte von Kain
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    auch ganz anders auffassen. Die meisten Sachen, die man uns lehrt, sind gewiß ganz wahr und richtig, aber man kann sie alle auch anders ansehen, als die Lehrer es tun, und meistens haben sie dann einen viel besseren Sinn. Mit diesem Kain zum Beispiel und mit dem Zeichen auf seiner Stirn kann man
    doch nicht recht zufrieden sein, so wie der uns erklärt wird. Findest du nicht auch? Daß einer seinen Bruder im Streit totschlägt, kann ja gewiß passieren, und daß er nachher Angst kriegt und klein beigibt, ist auch möglich. Daß er 18
    aber für seine Feigheit extra mit einem Orden ausgezeichnet wird, der ihn schützt und allen andern Angst einjagt, ist doch recht sonderbar.“
    Freilich“, sagte ich
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