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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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Sie wünschen. Sie müssen diese Wünsche aufgeben können, oder sie ganz und richtig wünschen. Wenn Sie einmal so zu bitten vermögen, daß Sie der Erfüllung in sich ganz gewiß sind, dann ist auch die Erfüllung da. Sie wünschen aber, und bereuen es wieder, und haben Angst dabei. Das muß alles überwunden werden. Ich will Ihnen ein Märchen erzählen.«
    Und sie erzählte mir von einem Jüngling, der in einen Stern verliebt war. Am Meere stand er, streckte die Hände aus undbetete den Stern an, er träumte von ihm und richtete seine Gedanken an ihn. Aber er wußte, oder meinte zu wissen, daß ein Stern nicht von einem Menschen umarmt werden könne. Er hielt es für sein Schicksal, ohne Hoffnung auf Erfüllung ein Gestirn zu lieben, und er baute aus diesem Gedanken eine ganze Lebensdichtung von Verzicht und stummem, treuem Leiden, das ihn bessern und läutern sollte. Seine Träume gingen aber alle auf den Stern. Einmal stand er wieder bei Nacht am Meere, auf der hohen Klippe, und blickte in den Stern und brannte vor Liebe zu ihm. Und in einem Augenblick größter Sehnsucht tat er den Sprung und stürzte sich ins Leere, dem Stern entgegen. Aber im Augenblick des Springens noch dachte er blitzschnell: es ist ja doch unmöglich! Da lag er unten am Strand und war zerschmettert. Er verstand nicht zu lieben. Hätte er im Augenblick, wo er sprang, die Seelenkraft gehabt, fest und sicher an die Erfüllung zu glauben, er wäre nach oben geflogen und mit dem Stern vereinigt worden.
    »Liebe muß nicht bitten«, sagte sie, »auch nicht fordern. Liebe muß die Kraft haben, in sich selbst zur Gewißheit zu kommen. Dann wird sie nicht mehr gezogen, sondern zieht. Sinclair, Ihre Liebe wird von mir gezogen. Wenn sie mich einmal zieht, so komme ich. Ich will keine Geschenke geben, ich will gewonnen werden.«
    Ein anderes Mal aber erzählte sie mir ein anderes Märchen. Es war ein Liebender, der ohne Hoffnung liebte. Er zog sich ganz in seine Seele zurück und meinte vor Liebe zu verbrennen. Die Welt ging ihm verloren, er sah den blauen Himmel und den grünen Wald nicht mehr, der Bach rauschte ihm nicht, die Harfe klang ihm nicht, alles war versunken, und er war arm und elend geworden. Seine Liebe aber wuchs, und er wollte viel lieber sterben und verkommen, als auf den Besitz der schönen Frau verzichten, die er liebte. Da spürte er, wie seine Liebe alles andre in ihm verbrannt hatte, und sie wurde mächtig und zog und zog, und die schöne Frau mußte folgen, sie kam, er stand mit ausgebreiteten Armen, um sie an sich zu ziehen. Wie sie aber vor ihm stand, da war sie ganz verwandelt, und mit Schauern fühlte und sah er, daß er die ganze verlorene Welt zu sich her gezogen hatte. Sie stand vor ihm und ergab sich ihm, Himmel und Wald und Bach, alles kam in neuen Farben frisch und herrlich ihm entgegen,gehörte ihm, sprach seine Sprache. Und statt bloß ein Weib zu gewinnen, hatte er die ganze Welt am Herzen, und jeder Stern am Himmel glühte in ihm und funkelte Lust durch seine Seele. – Er hatte geliebt und dabei sich selbst gefunden. Die meisten aber lieben, um sich dabei zu verlieren.
    Meine Liebe zu Frau Eva schien mir der einzige Inhalt meines Lebens zu sein. Aber jeden Tag sah sie anders aus. Manchmal glaubte ich bestimmt zu fühlen, daß es nicht ihre Person sei, nach der mein Wesen hingezogen strebte, sondern sie sei nur ein Sinnbild meines Innern und wolle mich nur tiefer in mich selbst hinein führen. Oft hörte ich Worte von ihr, die mir klangen wie Antworten meines Unterbewußten auf brennende Fragen, die mich bewegten. Dann wieder gab es Augenblicke, in denen ich neben ihr vor sinnlichem Verlangen brannte und Gegenstände küßte, die sie berührt hatte. Und allmählich schoben sich sinnliche und unsinnliche Liebe, Wirklichkeit und Symbol übereinander. Dann geschah es, daß ich daheim in meinem Zimmer an sie dachte, in ruhiger Innigkeit, und dabei ihre Hand in meiner und ihre Lippen auf meinen zu fühlen meinte. Oder ich war bei ihr, sah ihr ins Gesicht, sprach mit ihr und hörte ihre Stimme und wußte doch nicht, ob sie wirklich und nicht ein Traum sei. Ich begann zu ahnen, wie man eine Liebe dauernd und unsterblich besitzen kann. Ich hatte beim Lesen eines Buches eine neue Erkenntnis, und es war dasselbe Gefühl wie ein Kuß von Frau Eva. Sie streichelte mir das Haar und lächelte mir ihre reife, duftende Wärme zu, und ich hatte dasselbe Gefühl, wie wenn ich in mir selbst einen Fortschritt gemacht hatte. Alles,
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