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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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Himmel.
    Einer von den Sternen brauste mit hellem Klang gerade zu mir her, schien mich zu suchen. – Da krachte er brüllend in tausend Funken auseinander, es riß mich empor und warf mich wieder zu Boden, donnernd brach die Welt über mir zusammen.
    Man fand mich nahe bei der Pappel, mit Erde bedeckt und mit vielen Wunden.
    Ich lag in einem Keller, Geschütze brummten über mir. Ich lag in einem Wagen und holperte über leere Felder. Meistens schlief ich oder war ohne Bewußtsein. Aber je tiefer ich schlief, desto heftiger empfand ich, daß etwas mich zog, daß ich einer Kraft folgte, die über mich Herr war.
    Ich lag in einem Stall auf Stroh, es war dunkel, jemand war mir auf die Hand getreten. Aber mein Inneres wollte weiter, stärker zog es mich weg. Wieder lag ich auf einem Wagen und später auf einer Bahre oder Leiter, immer stärker fühlte ich mich irgendwohin befohlen, fühlte nichts als den Drang, endlich dahin zu kommen.
    Da war ich am Ziel. Es war Nacht, ich war bei vollem Bewußtsein, mächtig hatte ich soeben noch den Zug und Drang in mir empfunden. Nun lag ich in einem Saal, am Boden gebettet, und fühlte, daß ich dort sei, wohin ich gerufen war. Ich blickte um mich, dicht neben meiner Matratze lag eine andre und jemand auf ihr, der neigte sich vor und sah mich an. Er hatte das Zeichen auf der Stirn. Es war Max Demian.
    Ich konnte nicht sprechen, und auch er konnte oder wollte nicht. Er sah mich nur an. Auf seinem Gesicht lag der Schein einer Ampel, die über ihm an der Wand hing. Er lächelte mir zu.
    Eine unendlich lange Zeit sah er mir immerfort in die Augen. Langsam schob er sein Gesicht mir näher, bis wir uns fast berührten.
    »Sinclair!« sagte er flüsternd.
    Ich gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß ich ihn verstehe. Er lächelte wieder, beinah wie in Mitleid.
    »Kleiner Junge!« sagte er lächelnd.
    Sein Mund lag nun ganz nahe an meinem. Leise fuhr er fort zu sprechen.
    »Kannst du dich noch an Franz Kromer erinnern?« fragte er. Ich zwinkerte ihm zu, und konnte auch lächeln.
    »Kleiner Sinclair, paß auf! Ich werde fortgehen müssen. Du wirst mich vielleicht einmal wieder brauchen, gegen den Kromer oder sonst. Wenn du mich dann rufst, dann komme ich nicht mehr so grob auf einem Pferd geritten oder mit der Eisenbahn. Du mußt dann in dich hinein hören, dann merkst du, daß ich in dir drinnen bin. Verstehst du? – Und noch etwas! Frau Eva hat gesagt, wenn es dir einmal schlecht gehe, dann solle ich dir den Kuß von ihr geben, den sie mir mitgegeben hat ... Mach die Augen zu, Sinclair!«
    Ich schloß gehorsam meine Augen zu, ich spürte einen leichten Kuß auf meinen Lippen, auf denen ich immer ein wenig Blut stehen hatte, das nie weniger werden wollte. Und dann schlief ich ein.
    Am Morgen wurde ich geweckt, ich sollte verbunden werden. Als ich endlich richtig wach war, wendete ich mich schnell nach der Nachbarmatratze hin. Es lag ein fremder Mensch darauf, den ich nie gesehen hatte.
    Das Verbinden tat weh. Alles, was seither mit mir geschah, tat weh. Aber wenn ich manchmal den Schlüssel finde und ganz in mich selbst hinuntersteige, da wo im dunkeln Spiegel die Schicksalsbilder schlummern, dann brauche ich mich nur über den schwarzen Spiegel zu neigen und sehe mein eigenes Bild, das nun ganz Ihm gleicht, Ihm, meinem Freund und Führer.
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