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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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Mutter zu verängstigten Kindern. »Traurig sind wir nicht, Mutter, wir haben bloß ein wenig an diesen neuen Zeichen gerätselt. Aber es liegt ja nichts daran.Plötzlich wird das, was kommen will, da sein, und dann werden wir das, was wir zu wissen brauchen, schon erfahren.«
    Mir aber war schlecht zumut, und als ich Abschied nahm und allein durch die Halle ging, empfand ich den Hyazinthenduft welk, fad und leichenhaft. Es war ein Schatten über uns gefallen.
Achtes Kapitel
ANFANG VOM ENDE
    Ich hatte es durchgesetzt, noch das Sommersemester in H. bleiben zu können. Statt im Hause, waren wir nun fast immer im Garten am Fluß. Der Japaner, der übrigens im Ringkampf richtig verloren hatte, war fort, auch der Tolstoimann fehlte. Demian hielt sich ein Pferd und ritt Tag für Tag mit Ausdauer. Ich war oft mit seiner Mutter allein.
    Zuweilen wunderte ich mich über die Friedlichkeit meines Lebens. Ich war so lang gewohnt, allein zu sein, Verzicht zu üben, mich mühsam mit meinen Qualen herumzuschlagen, daß diese Monate in H. mir wie eine Trauminsel vorkamen, auf der ich bequem und verzaubert nur in schönen, angenehmen Dingen und Gefühlen leben durfte. Ich ahnte, daß dies der Vorklang jener neuen, höheren Gemeinschaft sei, an die wir dachten. Und je und je ergriff mich über dies Glück eine tiefe Trauer, denn ich wußte wohl, es konnte nicht von Dauer sein. Mir war nicht beschieden, in Fülle und Behagen zu atmen, ich brauchte Qual und Hetze. Ich spürte: eines Tages würde ich aus diesen schönen Liebesbildern erwachen und wieder allein stehen, ganz allein, in der kalten Welt der anderen, wo für mich nur Einsamkeit oder Kampf war, kein Friede, kein Mitleben.
    Dann schmiegte ich mich mit doppelter Zärtlichkeit in die Nähe der Frau Eva, froh darüber, daß mein Schicksal noch immer diese schönen, stillen Züge trug.
    Die Sommerwochen vergingen schnell und leicht, das Semester war schon im Ausklingen. Der Abschied stand bald bevor, ich durfte nicht daran denken, und tat es auch nicht, sondern hing an den schönen Tagen wie ein Falter an der Honigblume. Das warnun meine Glückszeit gewesen, die erste Erfüllung meines Lebens und meine Aufnahme in den Bund – was würde dann kommen? Ich würde wieder mich durchkämpfen, Sehnsucht leiden, Träume haben, allein sein.
    An einem dieser Tage überkam mich dies Vorgefühl so stark, daß meine Liebe zu Frau Eva plötzlich schmerzlich aufflammte. Mein Gott, wie bald, dann sah ich sie nicht mehr, hörte nicht mehr ihren festen, guten Schritt durchs Haus, fand nicht mehr ihre Blumen auf meinem Tisch! Und was hatte ich erreicht? Ich hatte geträumt und mich in Behagen gewiegt, statt sie zu gewinnen, statt um sie zu kämpfen und sie für immer an mich zu reißen! Alles, was sie mir je über die echte Liebe gesagt hatte, fiel mir ein, hundert feine, mahnende Worte, hundert leise Lockungen, Versprechungen vielleicht – was hatte ich daraus gemacht? Nichts! Nichts!
    Ich stellte mich mitten in meinem Zimmer auf, faßte mein ganzes Bewußtsein zusammen und dachte an Eva. Ich wollte die Kräfte meiner Seele zusammennehmen, um sie meine Liebe fühlen zu lassen, um sie zu mir her zu ziehen. Sie mußte kommen und meine Umarmung ersehnen, mein Kuß mußte unersättlich in ihren reifen Liebeslippen wühlen.
    Ich stand und spannte mich an, bis ich von den Fingern und Füßen her kalt wurde. Ich fühlte, daß Kraft von mir ausging. Für einige Augenblicke zog sich etwas in mir fest und eng zusammen, etwas Helles und Kühles; ich hatte einen Augenblick die Empfindung, ich trage einen Kristall im Herzen, und ich wußte, das war mein Ich. Die Kälte stieg mir bis zur Brust.
    Als ich aus der furchtbaren Anspannung erwachte, fühlte ich, daß etwas käme. Ich war zu Tode erschöpft, aber ich war bereit, Eva ins Zimmer treten zu sehen, brennend und entzückt.
    Hufgetrappel hämmerte jetzt die lange Straße heran, klang nah und hart, hielt plötzlich an. Ich sprang ans Fenster. Unten stieg Demian vom Pferde. Ich lief hinab.
    »Was ist los, Demian? Es ist doch deiner Mutter nichts passiert?«
    Er hörte nicht auf meine Worte. Er war sehr bleich, und Schweiß rann zu beiden Seiten von seiner Stirn über die Wangen. Er band die Zügel seines erhitzten Pferdes an den Gartenzaun, nahm meinen Arm und ging mit mir die Straße hinab.
    »Weißt du schon etwas?«
    Ich wußte nichts.
    Demian drückte meinen Arm und wandte mir das Gesicht zu, mit einem dunklen, mitleidigen, sonderbaren Blick.
    »Ja, mein
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