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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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gewartet, und als das Bild kam, da wußten wir, daß Sie auf dem Weg zu uns waren. Als Sie ein kleiner Knabe waren, Sinclair, da kam eines Tages mein Sohn aus der Schule und sagte: Es ist ein Junge da, der hat das Zeichen auf der Stirn, der muß mein Freund werden. Das waren Sie. Sie haben es nicht leicht gehabt, aber wir haben Ihnen vertraut. Einmal trafen Sie, als Sie in Ferien zu Hause waren, wieder mit Max zusammen. Sie waren damals so etwa sechzehn Jahre alt. Max erzählte mir davon –«
    Ich unterbrach: »O, daß er Ihnen das gesagt hat! Es war meine elendeste Zeit damals!«
    »Ja, Max sagte zu mir: Jetzt hat Sinclair das Schwerste vor sich. Er macht noch einmal einen Versuch, sich in die Gemeinschaft zu flüchten, er ist sogar ein Wirtshausbruder geworden; aber es wird ihm nicht gelingen. Sein Zeichen ist verhüllt, aber es brennt ihn heimlich. – War es nicht so?«
    »O ja, so war es, genau so. Dann fand ich Beatrice und dann kam endlich wieder ein Führer zu mir. Er hieß Pistorius. Erst da wurde mir klar, warum meine Knabenzeit so sehr an Max gebunden war, warum ich nicht von ihm loskommen konnte. Liebe Frau – liebe Mutter, ich habe damals oft geglaubt, ich müsse mir das Leben nehmen. Ist denn der Weg für jeden so schwer?«
    Sie fuhr mit ihrer Hand über mein Haar, leicht wie Luft.
    »Es ist immer schwer, geboren zu werden. Sie wissen, der Vogel hat Mühe, aus dem Ei zu kommen. Denken Sie zurück und fragen Sie: war der Weg denn so schwer? nur schwer? War er nicht auch schön? Hätten Sie einen schöneren, einen leichteren gewußt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Es war schwer«, sagte ich wie im Schlaf, »es war schwer, bis der Traum kam.«
    Sie nickte und sah mich durchdringend an.
    »Ja, man muß seinen Traum finden, dann wird der Weg leicht. Aber es gibt keinen immerwährenden Traum, jeden löst ein neuer ab, und keinen darf man festhalten wollen.«
    Ich erschrak tief. War das schon eine Warnung? War das schon Abwehr? Aber einerlei, ich war bereit, mich von ihr führen zu lassen und nicht nach dem Ziel zu fragen.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich, »wie lange mein Traum dauern soll. Ich wünsche, er wäre ewig. Unter dem Bild des Vogels hat mich mein Schicksal empfangen, wie eine Mutter, und wie eine Geliebte. Ihm gehöre ich und sonst niemand.«
    »Solange der Traum Ihr Schicksal ist, solange sollen Sie ihm treu bleiben«, bestätigte sie ernst.
    Eine Traurigkeit ergriff mich, und der sehnliche Wunsch, in dieser verzauberten Stunde zu sterben. Ich fühlte die Tränen – wie unendlich lange hatte ich nicht mehr geweint! – unaufhaltsam inmir aufquellen und mich überwältigen. Heftig wandte ich mich von ihr weg, trat an das Fenster und blickte mit blinden Augen über die Topfblumen hinweg. Hinter mir hörte ich ihre Stimme, sie klang gelassen und war doch so voll von Zärtlichkeit wie ein bis zum Rande mit Wein gefüllter Becher.
    »Sinclair, Sie sind ein Kind! Ihr Schicksal liebt Sie ja. Einmal wird es Ihnen ganz gehören, so wie Sie es träumen, wenn Sie treu bleiben.«
    Ich hatte mich bezwungen und wandte ihr das Gesicht wieder zu. Sie gab mir die Hand.
    »Ich habe ein paar Freunde«, sagte sie lächelnd, »ein paar ganz wenige, ganz nahe Freunde, die sagen Frau Eva zu mir. Auch Sie sollen mich so nennen, wenn Sie wollen.«
    Sie führte mich zur Tür, öffnete und deutete in den Garten. »Sie finden Max da draußen.«
    Unter den hohen Bäumen stand ich betäubt und erschüttert, wacher oder träumender als jemals, ich wußte es nicht. Sachte tropfte der Regen aus den Zweigen. Ich ging langsam in den Garten hinein, der sich weit das Flußufer entlang zog. Endlich fand ich Demian. Er stand in einem offenen Gartenhäuschen mit nacktem Oberkörper und machte vor einem aufgehängten Sandsäckchen Boxübungen.
    Erstaunt blieb ich stehen. Demian sah prachtvoll aus, die breite Brust, der feste, männliche Kopf, die gehobenen Arme mit gestrafften Muskeln waren stark und tüchtig, die Bewegungen kamen aus Hüften, Schultern und Armgelenken hervor wie spielende Quellen.
    »Demian!« rief ich. »Was treibst du denn da?«
    Er lachte fröhlich.
    »Ich übe mich. Ich habe dem kleinen Japaner einen Ringkampf versprochen, der Kerl ist flink wie eine Katze und natürlich ebenso tückisch. Aber er wird nicht mit mir fertig werden. Es ist eine ganz kleine Demütigung, die ich ihm schuldig bin.«
    Er zog Hemd und Rock über.
    »Du warst schon bei meiner Mutter?« fragte er.
    »Ja. Demian, was hast du für eine
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