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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur
Autoren: Michael Tsokos
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zerstört, dass ich nicht einmal erkennen konnte, was für ein Auto es einmal gewesen war. Alle Türen waren aufgerissen, alle Fensterscheiben zerborsten, die Motorhaube stand weit offen. Teile desMotors waren durch die Druckwelle herausgeflogen und lagen gleich metallenen Innereien auf der Straße. Ein stechender Gestank von Rauch, Benzin und verbranntem Plastik lag in der Luft, vermischt mit dem Geruch des Löschschaums. Die Hitze, die die Explosion verursacht hatte, war so groß gewesen, dass das Fahrzeugunterteil teilweise und die Reifen komplett mit dem Teerbelag der Straße verschmolzen waren.
    »Und jetzt werfen Sie mal einen Blick auf die Rückbank«, sagte der Mann von der Kripo schließlich zu mir.
    Beißender Qualmgeruch auch hier, die Polsterauflagen der Sitze und die Kunststoffteile der Kabinenverkleidung waren fast vollständig vom Feuer vernichtet worden. Und auf der Rückbank lag rücklings ein verbrannter Leichnam. Er war zu weiten Teilen von den Flammen skelettiert worden. Arme und Beine waren wie bei einem Fötus angewinkelt, als hätte sich das Todesopfer auf diese Weise vor den Flammen schützen wollen. Doch vor solchen Flammen kann einen keine Körperhaltung schützen. Die Explosion und das Feuer waren mit solch vernichtender Kraft über das Opfer hinweggefegt, dass selbst die Schneidezähne im Kiefer verbrannt waren. Am Schädeldach waren Knochen abgesplittert, und aus der Schädelhöhle trat angekohltes Hirngewebe hervor. Das alles war ein ungewöhnlicher und wenig schöner Anblick. Aber wodurch die Sache regelrecht unheimlich wurde: Das Skelett auf der Rückbank war der einzige Insasse des Fahrzeugs. Fahrer- und Beifahrersitz waren leer. Kein Fahrer, kein Beifahrer. Die Ermittler standen vor einem Rätsel, undschon am Tatort wurde heftig über den möglichen Tathergang spekuliert.
    »Da kann kein anderer mehr dringesessen haben«, sagte der leitende Ermittler. »Wie soll denn der noch rausgekommen sein?«
    »Da muss noch jemand drin gewesen sein«, hielt ein Kriminaltechniker dagegen. »Wer soll denn sonst den Wagen gefahren haben?«
    Hatte der Fahrer das Auto kurz vor dem Unfall verlassen? Aber wie? Er hätte während der Fahrt aus dem Wagen springen müssen, und der Landwirt und andere Augenzeugen der Explosion hatten nichts dergleichen beobachtet. Auch die Einsatzkräfte der Polizei, die die Landstraße gesperrt und die Umgebung abgesucht hatten, hatten nur Glassplitter und zerrissene Reste des Airbags gefunden, die während der Explosion aus dem Auto geschleudert worden waren. Und die verbrannte Person hatte das Auto sicher nicht von der Rückbank aus gesteuert.
    Was die Sache erschwerte: Wegen der Explosion und des anschließenden Brandes konnten weder der Halter noch das Fabrikat des Pkw ohne weiteres identifiziert werden. »Es könnte ein Audi sein, bin mir aber nicht sicher«, hatte der Kommissar gesagt.
    Die zentrale Frage lautete: Warum war der Wagen explodiert? Doch solange es keinen Hinweis auf die Identität des Toten gab, fehlte den Ermittlern ein wesentlicher Ansatzpunkt für ihre Arbeit. Umso mehr war nun die Rechtsmedizin gefragt.
    In Fällen wie diesem, bei denen man nicht genau sagen kann, ob es sich um ein Gewaltverbrechen handelt, kommen wir ins Spiel. Meist läuft es so, dass die Kripo im Institut anruft und sich gleichzeitig die Genehmigung zur Obduktion vom Staatsanwalt einholt.
    Die Kriminaltechniker machten sich inzwischen daran, die Leiche aus dem Wagen zu heben. Das war keine leichte Aufgabe, da die Reste von Muskulatur und Gewebe mit den Resten des Kunststoffs der Rückbankpolsterung verschmolzen waren.
    Als ich wenig später wieder im Institut eintraf, lag bereits das Fax von der Staatsanwaltschaft mit der Obduktionsanordnung auf meinem Schreibtisch.
    Wer war der Tote? Und wem gehörte das Auto? Zu beiden Fragen gab es noch keine Antwort, geschweige denn zum Tathergang selbst. Ja, wir wussten nicht einmal, ob es sich überhaupt um eine »Tat« handelte, sei es im Sinne eines Verbrechens oder eines Suizids. Bei einem Unfall sprechen wir von »Geschehenshergang«. In jedem Falle blieb uns nichts anderes übrig, als systematisch und Schritt für Schritt die äußere Leichenschau und Obduktion durchzuführen – und zu hoffen, dass Kripo und Spurensicherung ihren Teil herausfinden würden.
    Nur war eben das, was wir zu obduzieren hatten, eher ein Skelett als eine Leiche. »Man kann nicht mal mehr erkennen, ob das ein Mann oder eine Frau war«, sagte eine Ärztin
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