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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben
Autoren: Wilhelm Schmid
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alltäglichen Leben, zwischen unendlicher Energie und endlicher Form, allenfalls zeitweilig zu überwinden ist. Dass sich die Differenz so hartnäckig hält, ist in seiner Sicht vom Ich allein zu verantworten. Fühlt es sich nach der Ekstase wieder zurückgeworfen auf sich selbst, hat es alle Schuld dafür bei sich zu suchen. Das ist für ihn der Grund der so genannten Sünde, der Loslösung des Menschen von Gott, mit der ein Mensch das Eigentliche verfehlt und eingeschlossen bleibt in Endlichkeit, Engstirnigkeit, Kleinmütigkeit, Ichfixiertheit.
    Für sein eigenes Leben beharrt Augustinus etwas penetrant darauf, unablässig gesündigt zu haben, schon ein kindlicher Birnendiebstahl ähnelt auffällig der Entwendung der Äpfel vom paradiesischen Baum durch die ersten Menschen, die die Sünde angeblich weitervererbten. Mit seiner Erbsündenlehre geht er von einer ontologischen Schuld aus, die dem Dasein des Menschen innewohnt, der sich willentlich vom Sein löst. Die weitere Voraussetzung, dass der Mensch selbst daran nichts ändern kann, zwingt den Gedanken der »Gnade« ( gratia ) herbei, in der die göttliche Aufhebung der Differenz, die Vergebung der so genannten Schuld, wirksam wird. Der Schwache kommt dadurch wieder zu Kräften, denn er schöpft nun aus einer Energie, die unerschöpflich ist. Die Gnade ist das Element, in der die Liebe Gottes für den Menschen fühlbar wird, der Lohn der unbedingten Liebe des Menschen zu Gott, von Johann Sebastian Bach in der Kantate 113 besungen: »Süßes Wort voll Trost und Leben!«
    Es kommt Augustinus nicht in den Sinn, dass von einer Erbsünde in Wahrheit keine Rede sein kann, allenfalls von einem Erbproblem, und dass er mit seiner Deutung die Moralisierung eines moralfreien ontologischen Geschehens betreibt: Dass mit jeder Geburt eines Menschen von Neuem die ontologische Differenz zwischen Sein und Dasein aufbricht, zu überwinden nur hier und da durch Kontemplation, durch das Einssein mit Anderen und letztlich den Tod. Die Heilung der Wunde Endlichkeit, die ein Leben lang schmerzen kann, geschieht durch die Einbettung in eine Unendlichkeit, für die ein Mensch keiner Dogmatik bedarf. Die braucht nur eine Institution, um divergierende Interessen zusammenzuhalten.
    Auf die Gottesliebe des Augustinus fällt ein erdumspannender Glanz durch die Jahrhunderte hindurch, in denen Menschen sich von dieser beredten Liebe angesprochen fühlten. Von Interesse für den Lebensvollzug ist jedoch der weniger glanzvolle Alltag der Gottesliebe , da auch ein religiöses Leben nicht in jedem Moment von metaphysischem Licht erleuchtet wird. Augustinus sorgt sich um das ewige Heil seiner Seele, aber eine gute Seelsorge entscheidet sich im alltäglichen Daseinkönnen für sich selbst und Andere. In der Praxis der Pastoraltheologie steht das religiöse Leben gerade in diesen Zeiten in Frage, um die sich die Theorien der Fundamentaltheologie wenig bekümmern. Eine pragmatische, alltäglich lebbare Gottesliebe ist mit der Begrenztheit der Endlichkeit und Wirklichkeit konfrontiert, in der der unbegrenzte Horizont der Unendlichkeit und Möglichkeit nicht immer präsent sein kann. Das erfährt beispielsweise Isidor, kein gefeierter Kirchenvater auf den Höhen der Weltliteratur, sondern ein vergessener Gemeindepfarrer im tiefsten Bayerischen Wald.
    In ihrem Roman Gottesdiener (2004) erzählt Petra Morsbach von ihm; einige reale Personen haben, wie sie im Gespräch verrät, in diese fiktive Gestalt Eingang gefunden. Isidor von Bodering lebt die gleiche Religion anders als Aurelius von Hippo, der zu den Heiligen gehörte, die er bei seiner Priesterweihe betend anrief. Anders als Augustinus verachtet er den Alltag des religiösen Lebens nicht und ist trotz aller Widrigkeiten damit einverstanden, Menschenversteher, Moralprediger, Seelentröster, Coach, Mediator, Supervisor, Organisator, Stratege, Gemeinde- und Kirchenpolitiker in einem sein zu müssen, auch wenn ihm das gelegentlich zu viel wird.
    Mit der Polarität des Lebens ist er bestens vertraut, neben den hellen kennt er dessen dunkle Seiten zur Genüge und verwirft sie dennoch nicht. Die Sündenlehre seiner Kirche erscheint ihm reichlich fragwürdig. Nie urteilt er über jemanden moralisch, niemand ist »verflucht«. Nichts Menschliches ist ihm fremd, ihn beflügelt ganz im Gegenteil eine übergroße Neugierde und Offenheit dafür, denn jedes Mal ist es ihm, »als öffne sich eine Tür in eine neue Welt«. Untrennbar ist seine Liebe zu Gott mit der
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