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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben
Autoren: Wilhelm Schmid
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Fragen auf, gerade dann, wenn es Liebe ist. Es gibt sehr gegensätzliche Modelle dafür, wie sie gelebt werden kann.
Leidenschaft und Alltag der Gottesliebe: Aurelius und Isidor
    »Was also liebe ich, wenn ich meinen Gott liebe?« Der Fragesteller nimmt die Antwort mit seiner Frage teilweise schon vorweg: Er denkt an ein Was , wenngleich er sich von der Vorstellung einer Person nicht gänzlich lösen kann, denn schon im nächsten Satz fragt er danach, wer Er denn sei. Auf die Depersonalisierung des Objekts der Liebe antwortet eine neuerliche Personalisierung, und dieses Was oder Wer ist für das Ich so bedeutsam, dass die Beziehung zu ihm geradewegs zu einer umstandslosen Aneignung führt: Es ist mein Gott ( deus meus ). Dieses persönliche, possessive Verhältnis durchzieht wie ein roter Faden die Bekenntnisse ( Confessiones ), in denen Aurelius Augustinus sein Zwiegespräch mit dieser anderen Dimension führt, die er Gott nennt. Verteilt auf 13 Bücher spricht er, oft in der Form eines Gebets, als Ich mit dem Du, das »sein Gott« ist. Und auch Gott selbst spricht, nämlich in der Form von Zitaten aus dem Alten und Neuen Testament , aber von Anfang an wird deutlich, dass es sich nicht um einen abgrenzbaren und bestimmbaren Gott handelt, sondern um etwas ungeheuer Großes, Unfassbares. In endlosen Kaskaden von Worten, Sätzen und Zitaten scheint der Autor die Unendlichkeit Gottes sprachlich darstellen zu wollen. Seine Besorgnis gilt dabei durchgängig dem Ort, den er für diese Dimension im eigenen Ich bereithalten kann,denn was wäre dafür geräumig genug, was wäre letztlich von unendlicher Weite im eigenen Ich? »Und welches ist der Ort in mir, wohin er kommen soll, mein Gott?« (I, 2)
    Danach fragte Augustinus nicht von Anfang an. Seine Bekenntnisse zeichnen die Um- und Abwege nach, auf denen er zum christlichen Kirchenvater wurde, der tausend Jahre später für den Augustinermönch Martin Luther in Erfurt noch Bedeutung hatte. 354 n. Chr. in der nordafrikanischen Stadt Tagaste (Souk Ahras im späteren Algerien) geboren, führt ihn sein weltlicher Weg als Rhetoriker über Karthago und Rom nach Mailand. Er ist ein sinnenfroher Mensch mit wechselnden Gefährtinnen; mit der Frau, mit der er einen Sohn hat, verbindet ihn lediglich ein »Abkommen zu geschlechtlicher Liebe« ( pactum libidinosi amoris , IV, 2). Als der Tod eines engen Freundes ihn, der den heilsamen Horizont der Unendlichkeit nicht kennt, mit der unheilvollen Trostlosigkeit der Endlichkeit konfrontiert, orientiert er sich von Grund auf neu.
    Er, der immer danach suchte, »das Lieben liebend« ( amans amare , III, 1), was er denn lieben könnte, findet im Laufe einer philosophischen Neubesinnung in der Hinwendung zum christlichen Gott das wahre, geistige Glück, das er umgehend in der Schrift Vom glücklichen Leben ( De vita beata ) beschreibt. Die neue Liebe erlöst ihn von der vorherigen, er fühlt sich befreit von »der Fessel des Verlangens nach dem Beischlaf« (VIII, 6, 13). Warum ist der Beischlaf ein so großes Problem für ihn? Weil ihn die Faszination der Sinnlichkeit dazu drängt, am Leben zu hängen, das aber vergänglich ist. Nach seiner Konversion kehrt er zurück nach Tagaste, bevor er in der Küstenstadt Hippo ein Kloster begründet, zum Bischof geweiht wird und schließlich 430 während einer Belagerung durch die Vandalen stirbt.
    Ein großer Liebender war Augustinus im Laufe seines Lebens in jeder Hinsicht, eine anders große Liebende schrieb darüber (Hannah Arendt, Der Liebesbegriff bei Augustin , 1929). Für seine Liebe zu Gott aber lässt er jede sonstige Bindung und Beziehung der Liebe hinter sich: »Weniger liebt Dich, wer neben Dir etwas anderes liebt, was er nicht Deinetwegen liebt«, schreibt er im grundlegenden 10. Buch der Bekenntnisse . Auch die Liebe zu sich selbst ( amor sui ), die doch die Grundlage für die Nächstenliebe sein müsste, hält er für verhängnisvoll, eigentlich soll da nur die Liebe zu Gott ( amor dei ) sein.
    Aber nur theoretisch erscheint ihm das Ich nachrangig, praktisch ist endlos vom ego die Rede, er weiß das: »Diese Liebe ist noch meine Versuchung.« Die Bekenntnisse sind eine einzige Orgie des Ich, das aus sich heraus und über sich hinaus will, nicht etwa hin zu einem anderen Menschen, sondern zu jenem ganz Anderen namens Gott: Im Zentrum steht allein das Ich mit seiner Gottesliebe, fast muss von einer egoistischen Gottesbeziehung die Rede sein. Das Ich blüht auf in der Beziehung zu diesem
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