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Delirium

Delirium

Titel: Delirium
Autoren: Lauren Oliver
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jemand über mich beugt. Ich spüre warmen Atem, der mich seitlich am Hals kitzelt.
    Dann weitere Schritte, die die Treppe heraufkommen, und Jennys Stimme, ein Zischen, an der Tür: »Was hast du denn hier zu suchen? Tante Carol hat dir doch gesagt, du sollst wegbleiben. Jetzt geh runter, bevor ich’s ihr sage.«
    Das Gewicht hebt sich vom Bett und leichte Schritte tappen zurück in den Flur. Ich öffne die Augen einen Spaltbreit, nur ein winziges bisschen, gerade weit genug, um zu erkennen, wie Grace sich an Jenny vorbeidrückt, die in der Tür steht. Sie muss nach mir gesehen haben. Ich kneife die Augen wieder zu, als Jenny mehrere vorsichtige Schritte auf das Bett zumacht.
    Dann dreht sie sich abrupt um, als könnte sie das Zimmer gar nicht schnell genug verlassen. Sie ruft: »Sie schläft noch!« Die Tür schließt sich wieder kratzend. Aber ich höre noch ganz deutlich aus der Küche: »Wer war es? Wer hat sie infiziert?«
    Diesmal zwinge ich mich dazu, mich aufzusetzen, trotz des Schmerzes, der mir durch Kopf und Nacken schneidet, und des schrecklichen Schwindels, der jede meiner Bewegungen begleitet. Ich versuche aufzustehen, doch meine Beine tragen mich nicht. Ich gehe zu Boden und krabbele stattdessen zur Tür. Selbst auf allen vieren kostet es mich übermenschliche Anstrengung und ich lege mich zitternd hin, während das Zimmer weiter hin- und herschaukelt wie eine teuflische Wippe.
    Mit dem Kopf auf dem Boden kann ich zum Glück einfacher hören, was unten gesprochen wird. Meine Tante sagt: »Sie müssen ihn doch zumindest gesehen haben.« Ich habe sie noch nie so hysterisch erlebt.
    Â»Keine Sorge«, sagt der Aufseher. »Wir werden ihn schon finden.«
    Immerhin. Alex muss entkommen sein. Wenn die Aufseher eine Ahnung hätten, wer da mit mir auf der Straße war – wenn sie auch nur einen Verdacht hätten –, hätten sie ihn bereits festgenommen. Ich spreche ein lautloses Dankgebet, dass es Alex gelungen ist, sich in Sicherheit zu bringen.
    Â»Wir hatten keine Ahnung«, beteuert Carol, immer noch mit dieser zitternden Stimme, die so gar nichts mit ihrem üblichen bedächtigen Tonfall gemein hat. Und jetzt verstehe ich: Sie ist nicht nur hysterisch. Sie hat Angst. »Sie müssen uns glauben, wir hatten keine Ahnung, dass sie infiziert war. Es gab keinerlei Anzeichen dafür. Ihr Appetit war unverändert. Sie ging pünktlich zur Arbeit. Keine Stimmungsschwankungen …«
    Â»Sie hat wahrscheinlich alles getan, um die Anzeichen zu verbergen«, unterbricht sie der Aufseher. »Das tun die Infizierten häufig.« Der Abscheu in seiner Stimme ist nicht zu überhören, als er das Wort Infizierte ausspricht, als würde er eigentlich Kakerlake oder Terrorist sagen.
    Â»Was machen wir denn jetzt?« Carols Stimme klingt leiser. Der Aufseher und sie müssen ins Wohnzimmer gegangen sein.
    Â»Wir melden uns so bald wie möglich«, erwidert er. »Mit ein bisschen Glück schon vor dem Ende der Woche …«
    Jetzt kann ich nichts mehr verstehen, höre nur noch ein leises Summen. Ich lehne meine Stirn einen Moment an die Tür und konzentriere mich aufs Ein- und Ausatmen, atme gegen den Schmerz an. Dann stehe ich vorsichtig auf. Ich bin immer noch sehr benommen und muss mich an der Wand festhalten, während ich überlege, was ich für Möglichkeiten habe. Ich muss herausfinden, was genau passiert ist. Ich muss wissen, wie lange die Aufseher Brooks Street 37 schon beobachtet haben, und ich muss mich unbedingt davon überzeugen, dass Alex in Sicherheit ist. Ich muss mit Hana reden. Sie wird mir helfen. Sie wird wissen, was zu tun ist. Ich ziehe am Türknauf, aber die Tür ist von außen abgeschlossen.
    Natürlich. Ich bin jetzt eine Gefangene.
    Und noch während meine Hand auf dem Türknauf ruht, beginnt er zu klappern und sich zu drehen. Ich drehe mich so schnell ich kann um und hechte zurück ins Bett – sogar das tut weh –, gerade als die Tür erneut aufschwingt und Jenny wieder hereinkommt.
    Ich schließe die Augen nicht schnell genug. Sie ruft in den Flur: »Sie ist wach.« Sie hat ein Glas Wasser in der Hand, will aber offenbar nicht weiter ins Zimmer kommen. Sie bleibt an der Tür stehen und betrachtet mich.
    Ich bin nicht allzu scharf darauf, mit Jenny zu reden, aber ich will unbedingt was trinken. Meine Kehle fühlt sich an, als hätte ich
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