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Delia im Wilden Westen

Delia im Wilden Westen

Titel: Delia im Wilden Westen
Autoren: Marie Louise Fischer
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Prärie zogen, hätten sich nie so tief in den Urwald gewagt.
    Diese Entdeckung war schrecklich. Sie übertraf alle unausgesprochenen Befürchtungen der beiden. Wenn weiße Soldaten die Pferde fortgetrieben hatten, dann konnten sie auch das Dorf gefunden haben, und dann ... nein, weiter wagte Delia gar nicht zu denken. Sie sah nur erschrocken ihren Freund an.
    Wie gerne hätte sie ihn bei der Hand gefasst und ihm zu verstehen gegeben, dass sie mit ihm fühlte. Aber sie wagte es nicht; sie wusste, er würde sie nicht verstehen. Die Indianer pflegten niemals ihre Gefühle zu zeigen.
    So stand Akitu jetzt mit starrem Gesicht da, äußerlich völlig unbewegt. Delia hatte wieder einmal mehr Gelegenheit, ihn zu bewundern. Kein Wort des Schmerzes oder der Angst kam über seine Lippen.
    „Komm“, sagte er nur und schritt mit großen, gelassenen Schritten voraus.
    Aber dort, wo ein schmaler, fast unsichtbarer Pfad von der Pferdeweide aus zum Dorf geführt hatte, gab es jetzt eine breite, unübersehbare Spur. Delia blieb fast das Herz stehen vor Entsetzen. Ohne dass Akitu ihr ein Wort sagte, wurde ihr klar, dass auch das Schlimmste eingetroffen war: Die Soldaten mussten den Weg zum Dorf gefunden haben.
    Beklommen folgte sie Akitu, der jetzt, ohne jede weitere Vorsichtsmaßnahme, vorwärts schritt. Entweder war ihm alles gleichgültig geworden, oder aber, was Delia eher glaubte, er war sicher, dass die Soldaten inzwischen abgezogen waren.
    Delia folgte Akitu, während der Himmel über den Bäumen immer dunkler und dunkler wurde. Die Dämmerung war schon herabgesunken, als sie das Indianerdorf erreichten, oder vielmehr das, was von dem Schlupfwinkel der Iowanokas übriggeblieben war.
    Keine Hütte stand mehr, nicht eine Spur war vom Versammlungsplatz der Alten zurückgeblieben, von der Arbeitsstätte der Frauen. Alles war niedergemacht, zertrampelt, verbrannt worden. Es war ein trostloser Anblick, und Delia krampfte sich das Herz zusammen.
    Sonst waren ihnen, wenn sie von einem Streifzug zurückkamen, die Indianerjungen entgegengelaufen, hatten sie nach ihren Abenteuern gefragt. Delia und Akitu hatten Inona, die große Schwester, begrüßt, hatten die Freude in ihren Augen aufleuchten sehen, hatten sich verwöhnen lassen. Das war vorbei.
    Es gab keine Begrüßung, keine Ermahnung, keine Strafe und kein gebratenes Wild. Keine Menschenseele war da.
    Dennoch handelte Akitu überlegt. Er trug Zweige und Äste für ein kleines Feuer zusammen. An Jagd war heute Abend nicht mehr zu denken, sie mussten hungrig schlafen gehen. Aber wenigstens konnten sie sich neben dem Feuer ausstrecken und brauchten nicht zu frieren. Die Nacht, die den warmen Frühlingstag ablöste, war kalt.
    Selbst der Professor schien zu begreifen, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war. Er winselte und bettelte nicht, sondern schmiegte sich eng an sein Frauchen und ergab sich in sein Schicksal.
    Delia starrte in den Himmel hinauf, an dem die Sterne über dem zerstörten Dorf schimmerten.
    Ihr war schwer ums Herz, schwerer als in all der Zeit, seit sie die Mutter und die Schwestern, seit sie ihre schöne Heimat verlassen hatte.
    Wie gut war es, zu wissen oder doch nur zu hoffen, dass sich zu Hause nichts geändert hatte! Dass die Mutter immer noch abends in dem bequemen Backensessel saß, dass die Petroleumlampe auf der Rosenholzkommode brannte und eine der Schwestern, Anna oder Agathe, vorlas, während die Mutter und die andere Schwester handarbeiteten. Delia konnte sich das alles richtig vorstellen. Dann würde die Türe aufgehen, und Sophie, die alte Haushälterin, würde vielleicht mit einem Teller frischen Gebäcks hereinkommen, wie sie es manchmal tat, die gute alte Seele!
    Delias Augen füllten sich mit Tränen. Ja, es war schwer, in der Fremde herumzustreifen auf der Suche nach einem Vater, von dem man nicht einmal mit Sicherheit wusste, ob er wirklich noch lebte. Aber sie hatte doch ihr Zuhause, die Heimat war ihr erhalten geblieben, wenn sie jetzt auch weit weg, fast unerreichbar weit lag, jenseits des großen Wassers.
    Akitu aber hatte mit einem Schlag alles verloren — Familie, Freunde und das Dorf seiner Kindheit. Delia zerbrach sich den Kopf, um sich einen Trost für ihn einfallen zu lassen.
    Sie streckte die Hand aus, berührte zart seinen Arm. „Akitu“, sagte sie, „morgen, wenn die Sonne scheint, sieht alles schon anders aus. Vielleicht haben sich deine Leute retten können, ja, das glaube ich sicher. Sie haben sich vor den weißen Soldaten
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