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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin
Autoren: Marie Louise Fischer
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sich auf, rieb die Augen, musste sich erst besinnen, wo sie war.
    Ein schlankes Indianermädchen von etwa fünfzehn Jahren trat zu ihr und reichte ihr eine Schüssel mit Maisbrei und einen holzgeschnitzten Löffel. Delia bedankte sich, suchte ihre englischen Brocken zusammen und bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Aber entweder verstand die Indianerin diese Sprache nicht, oder sie wollte nicht verstehen. Kein Muskel ihres ebenmäßigen Gesichtes bewegte sich, während Delia ihre Fragen stellte. Nur die dunklen mandelförmigen Augen der Indianerin sahen sie mit einem seltsam forschenden, fast mitleidigen Blick an, unter dem es Delia ein wenig unheimlich wurde.
    Der Mops schnupperte an dem Maisbrei, entschied, dass das nicht die richtige Nahrung für ihn war, lief zu dem Indianermädchen hin und richtete sich bittend auf den Hinterpfoten auf.
    Die Verständigung zwischen dem Professor und der Indianerin klappte besser. Das Mädchen verließ die Hütte, kam bald darauf mit einem großen Knochen zurück, an dem noch genügend Fleisch für den Appetit eines kleinen Hundes hing, und reichte ihn dem Mops, der ihn gnädig entgegennahm.
    Delia hatte Hunger; die ungewohnte Nahrung schmeckte ihr. Sie kratzte ihre Schüssel bis auf den Rest aus. Die Indianerin nahm die leere Schüssel entgegen und verschwand so schweigend, wie sie gekommen war.
    Jetzt erhob sich Delia, dehnte und streckte sich. Jeder einzelne Muskel schmerzte noch von dem langen Ritt und dem harten Lager. Sie sah sich in ihrer Hütte um, aber es gab nichts zu sehen. Die Hütte war vollkommen leer, bis auf die Laubschütte, auf der sie geschlafen hatte.
    Fragen bedrängten sie. Was hatten die Indianer mit ihr vor? War sie eine Gefangene? Und was sollte sie, was durfte sie tun?
    Der Mops war es, der die letzte dieser Fragen für sie beantwortete. Er ließ seinen abgenagten Knochen liegen, stieß mit der Schnauze gegen die Tür und lief ins Freie.
    Delia atmete auf. Sie war also gar nicht eingesperrt, wie sie erwartet hatte! Noch ein wenig unsicher und zögernd folgte sie ihrem Hund, jeden Augenblick gewärtig, angeschrien und zurückgeschickt zu werden. Aber nichts geschah. Niemand kümmerte sich um sie, niemand schien ihre Anwesenheit überhaupt zu bemerken.
    Das Indianerdorf wimmelte von Menschen. Doch wohin Delia auch blickte, sie sah nur Frauen und Kinder. Die Frauen und Mädchen, in einfachen, weich gegerbten Lederkitteln, hockten zumeist vor den Hütten beieinander, plauderten, nähten, kochten, zerrieben Mais, schienen Brot zu backen. Die Jungen liefen, nur mit einer Art Badehose aus weichem Wildleder angetan, mit nacktem Oberkörper herum, jagten sich über den großen, freien Platz inmitten der Hütten. Es sah aus, als ob sie eine Art Wettkampf miteinander veranstalteten. Die Allerkleinsten saßen auf dem Boden und patschten mit Wasser und Erde herum.
    Delia fiel auf, dass alle Kinder, ob Jungen oder Mädchen, laut, lustig und unbefangen waren. Die strenge Würde, durch die sie bei ihrer ersten Begegnung mit den Indianern so beeindruckt worden war, schien also nicht in ihrer Natur zu liegen, sondern das Ergebnis einer strengen Erziehung und eines bewussten Willens zu sein.
    Delia strich um die Hütten, gefolgt von ihrem Mops, der jeden Annäherungsversuch der Indianerhunde, die es hier in Rudeln gab, hochmütig zurückgewiesen hatte.
    Sie schlenderte auf den Waldrand zu, der das Indianerdorf umschloss, ja sie drang sogar einige Schritte in den Urwald hinein. Niemand dachte daran, sie zurückzuhalten. Aber bald begriff sie, dass das auch gar nicht nötig war. Es gab weder Weg noch Steg. Für jemanden, der sich, wie sie, in dem dichten, wild wuchernden Wald nicht auskannte, gab es kein Entrinnen. Sie war, auch ohne Fesseln und ohne Schloss vor der Tür, den Indianern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
    Niedergeschlagen wandte sie sich wieder dem Dorf zu. Die Hütten, die kreisförmig um den weiten, freien Platz lagen, auf dem jetzt die Indianerjungen wetteiferten, waren kastenförmig, aus eng aneinandergefügten jungen Baumstämmen errichtet. Die Fugen waren mit Lehm verschmiert, die Dächer mit Erde bedeckt, auf der Waldgras wuchs.
    Hätte Delia sich besser in den Sitten und Gepflogenheiten der Indianer ausgekannt, so hätte sie daraus ersehen, dass es sich bei ihren Entführern nicht um richtige Waldindianer handeln konnte. Waldindianer bauen ihre Wigwams nämlich ganz anders – aus grünen Stämmchen, die sie biegen und miteinander
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