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Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter

Titel: Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Autoren: Michael Robotham
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wäre aber vielleicht eine zu unglückliche Wortwahl. Manche Leute sagen, auf der Brücke spukten die Geister früherer Selbstmörder, auf der Fahrbahn wurden unheimliche Schatten gesichtet.
    Heute gibt es keine Schatten. Und der einzige Geist auf der Brücke ist aus Fleisch und Blut: Eine nackte Frau steht auf der anderen Seite des Sicherheitszauns, den Rücken an das Metallgitter gepresst. Die Absätze ihrer roten Schuhe balancieren auf der Kante.
    Wie bei einer Figur auf einem surrealistischen Gemälde wirkt ihre Blöße nicht besonders schockierend oder unpassend. Sie steht mit steifer Würde aufrecht und starrt mit der Miene eines Menschen aufs Wasser, der sich von der Welt abgekoppelt hat.
    Der Einsatzleiter stellt sich vor. Er trägt Uniform. Sergeant Abernathy. Seinen Vornamen bekomme ich nicht mit. Ein anderer Polizist hält seinen Schirm. Wasser strömt von dessen dunkler Nylonkuppel auf meine Schuhe.
    »Was brauchen Sie?«, fragt Abernathy.
    »Einen Namen.«
    »Haben wir nicht. Sie spricht nicht mit uns.«
    »Hat sie irgendwas gesagt?«
    »Nein.«
    »Möglicherweise steht sie unter Schock. Wo sind ihre Kleider?«
    »Nichts gefunden.«
    Ich blicke den Fußgängerweg hinunter. Er ist von beiden Seiten eingezäunt mit fünf Bahnen Draht auf der Krone, sodass man ihn nur mit Mühe überwinden kann. Der Regen fällt so
dicht, dass ich das andere Ende der Brücke kaum ausmachen kann.
    »Wie lange ist sie schon da draußen?«
    »Etwa eine Stunde.«
    »Haben Sie ein Fahrzeug gefunden?«
    »Wir suchen noch.«
    Wahrscheinlich ist sie von der dicht bewaldeten Ostseite aus gekommen. Aber selbst wenn sie sich erst auf der Brücke ausgezogen hat, müssen Dutzende von Fahrern sie gesehen haben. Warum hat niemand sie aufgehalten?
    Eine große Frau mit stoppelkurzen, schwarz gefärbten Haaren unterbricht unsere Beratung. Sie zieht die Schultern hoch und hat die Hände in den Taschen ihres Regenmantels vergraben, der bis zu ihren Knien hängt. Sie ist riesig. Vierschrötig. Und sie trägt Männerschuhe.
    Abernathys Pose wird steifer. »Was machen Sie denn hier, Mam?«
    »Ich versuche bloß, nach Hause zu kommen, Sergeant. Und nennen Sie mich nicht Mam. Ich bin nicht die verdammte Queen.«
    Sie blickt zu den Fernsehteams und Pressefotografen, die sich auf dem begrasten Ufer versammelt haben und ihre Stative und Lichter aufbauen. Schließlich wendet sie sich mir zu.
    »Was zittern Sie denn so, Schätzchen? So unheimlich bin ich auch nicht.«
    »Tut mir leid. Ich habe Parkinson.«
    »Schicksal. Kriegt man da eine Plakette?«
    »Eine Plakette?«
    »Für Behindertenparkplätze. Damit kann man praktisch überall parken. Das Ding ist fast so gut, wie Detective zu sein, nur dass wir auch noch Leute erschießen und schnell fahren dürfen.«
    Sie ist offensichtlich höherrangig als Abernathy.
    Sie blickt zur Brücke. »Sie machen das schon, Doc, kein Grund, nervös zu werden.«

    »Ich bin Professor, kein Arzt.«
    »Schade. Ich hatte Sie mir schon als Doctor Who vorgestellt und mich als ihren weiblichen Komplizen. Sagen Sie, was glauben Sie, wie die Daleks es geschafft haben, weite Teile des Universums zu erobern, obwohl sie nicht mal Treppen steigen konnten?«
    »Ich nehme an, das ist eines der großen Rätsel des Lebens.«
    »Davon kenne ich noch jede Menge.«
    Ein Funkgerät wird unter meine Jacke geschoben, und man legt mir einen reflektierenden Sicherheitsgurt an, der auf der Brust zugeklickt wird. Die Frau zündet sich eine Zigarette an und zupft einen Tabakkrümel von ihrer Zungenspitze. Obwohl sie den Einsatz nicht leitet, strahlt sie natürliche Autorität aus, sodass die uniformierten Beamten offenbar bereitwillig alles befolgen, was sie sagt.
    »Möchten Sie, dass ich mit Ihnen gehe?«, fragt sie.
    »Ich komme schon zurecht.«
    »Also gut, dann sagen Sie dem Hungerhaken da draußen, dass ich ihr ein Diät-Muffin kaufe, wenn sie auf unsere Seite des Zauns kommt.«
    »Mache ich.«
    Beide Zufahrten sind vorübergehend abgesperrt, die Brücke ist bis auf zwei Krankenwagen und wartende Notärzte und Sanitäter vollkommen leer. Autofahrer und Schaulustige drängen sich unter Schirmen und Regenmänteln. Einige sind wegen der besseren Sicht eine Böschung hinaufgestiegen.
    Regen prasselt auf den Asphalt, Tropfen zerstieben in winzigen pilzförmigen Wolken, bevor sie durch Gullys rauschen und wie ein Vorhang aus Wasser vom Brückenrand fallen.
    Ich ducke mich unter den Straßensperren durch und gehe langsam auf die Brücke. Meine
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