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Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter

Titel: Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Autoren: Michael Robotham
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Hände sind nicht in den Taschen, und mein linker Arm weigert sich zu schwingen. Das macht er manchmal - er kommt beim Plansoll einfach nicht mit.
    Vor mir sehe ich die Frau. Aus der Entfernung hatte ihre Haut makellos ausgesehen, aber nun fällt mir auf, dass ihre
Schenkel zerkratzt und schlammverschmiert sind. Das Dreieck ihres Schamhaars ist dunkler als ihr Haar, das sie in einem locker geflochtenen Zopf im Nacken trägt. Und da ist noch etwas - Buchstaben auf ihrem Bauch. Ein Wort. Als sie sich zu mir umdreht, kann ich es lesen.
    HURE.
    Warum die Selbstanklage? Warum nackt? Das ist eine öffentliche Erniedrigung. Vielleicht hatte sie eine Affäre und hat einen geliebten Menschen verloren. Jetzt möchte sie sich selbst bestrafen, um zu beweisen, dass es ihr wirklich leidtut. Oder es könnte eine Drohung sein - das ultimative Spiel mit dem Risiko: »Wenn du mich verlässt, bringe ich mich um.«
    Nein, das ist zu extrem. Zu gefährlich. Teenager drohen bei scheiternden Beziehungen manchmal, sich etwas anzutun. Es ist ein Zeichen emotionaler Unreife. Diese Frau ist Ende dreißig oder Anfang vierzig, mit kräftigen Schenkeln und kleinen Zellulitedellen an Pobacken und Hüften. Eine Narbe fällt mir ins Auge. Ein Kaiserschnitt. Sie ist Mutter.
    Ich bin jetzt bis auf wenige Schritte herangekommen.
    Sie drückt den Po fest gegen den Gitterzaun und hat den linken Arm um einen der Drähte auf der Krone geschlungen. Mit der anderen Hand presst sie ein Handy ans Ohr.
    »Hallo. Ich heiße Joe. Und Sie?«
    Sie antwortet nicht. Von einer kräftigen Böe erfasst, scheint sie kurz das Gleichgewicht zu verlieren und nach vorne zu schwanken. Der Draht schneidet in ihre Armbeuge, und sie zieht sich zurück.
    Ihre Lippen bewegen sich. Sie telefoniert. Ich muss ihre Aufmerksamkeit gewinnen.
    »Sagen Sie mir nur Ihren Namen. Das ist doch nicht so schwer. Sie können mich Joe nennen, und ich kann Sie …«
    Der Wind weht eine Haarsträhne in ihr Gesicht, sodass nur ihr linkes Auge sichtbar ist.
    Nagende Ungewissheit macht sich in meinem Magen breit. Weshalb die hochhackigen Schuhe? War sie in einem Nachtclub?
Dafür ist es eigentlich schon zu spät am Tag. Ist sie betrunken? Steht sie unter Drogen? Ecstasy kann psychotische Zustände auslösen. LSD. Vielleicht Ice.
    Ich schnappe Fetzen ihres Gespräches auf.
    » Nein. Nein. Bitte. Nein .«
    »Wer ist am Telefon?«, frage ich.
    » Das mache ich. Versprochen. Ich habe alles getan. Bitte verlangen Sie nicht …«
    »Hören Sie mir zu. Sie wollen das nicht tun.«
    Ich blicke nach unten. Gut siebzig Meter tiefer schiebt sich ein breiter Lastkahn mit Maschinenkraft gegen die Strömung flussaufwärts. Der angeschwollene Fluss leckt an den Ginsterund Weißdornbüschen am Ufer. Auf der Oberfläche treibt buntes Konfetti aus Müll: Bücher, Äste und Plastikflaschen.
    »Ihnen ist bestimmt kalt. Ich habe eine Decke.«
    Wieder gibt sie keine Antwort. Ich muss dafür sorgen, dass sie mich zur Kenntnis nimmt. Ein Nicken oder ein einziges zustimmendes Wort ist schon genug. Ich muss sicherstellen, dass sie mir zuhört.
    »Vielleicht könnte ich versuchen, sie Ihnen über die Schulter zu legen - nur um Sie zu wärmen.«
    Ihr Kopf schnellt zu mir herum, und sie schwankt nach vorne, als wolle sie loslassen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen.
    »Okay, ich komme keinen Schritt näher. Ich bleibe, wo ich bin. Sagen Sie mir nur Ihren Namen.«
    Sie wendet den Blick zum Himmel und blinzelt in den Regen wie ein Gefangener auf dem Hof, der einen kurzen Moment der Freiheit genießt.
    »Was auch schiefgelaufen ist, was immer passiert ist oder Sie aufgewühlt hat, wir können darüber reden. Ich möchte Ihnen Ihre Entscheidung auch gar nicht ausreden. Ich will nur verstehen, warum.«
    Ihre Zehen sacken ab, und sie muss sich mit aller Kraft auf ihre Absätze stellen, um das Gleichgewicht zu halten. In ihren
Muskeln staut sich Milchsäure, ihre Waden müssen starr vor Schmerz sein.
    »Ich habe schon Leute springen sehen«, erkläre ich ihr. »Sie sollten nicht glauben, dass es ein schmerzfreier Tod ist. Ich werde Ihnen erzählen, was passiert: Sie werden in weniger als drei Sekunden auf dem Wasser aufschlagen und bis dahin eine Fallgeschwindigkeit von etwa einhundertzwanzig Stundenkilometern erreicht haben. Ihr Brustkorb wird zertrümmert werden, und die gebrochenen Rippen werden sich in Ihre inneren Organe bohren. Manchmal wird das Herz durch den Aufschlag zusammengedrückt und reißt sich von der Aorta los, sodass
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