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Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter

Titel: Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Autoren: Michael Robotham
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oder hüllen sich fest in ihre Mäntel, wenn sie zur nächsten Vorlesung oder in die Bibliothek hasten. Andere bleiben, wo sie sind, und drängeln sich in der Halle. Bruno beobachtet die hübscheren Mädchen, ohne sich aber je zu verraten dabei.
    Es war sein Vorschlag, dass ich als Dozent arbeite - zwei Stunden pro Woche plus vier halbstündige Tutorien. Sozialpsychologie. Wie schwer konnte das sein?
    »Hast du einen Schirm?«, fragt er.
    »Ja.«
    »Wir teilen ihn uns.«

    Binnen Sekunden sind meine Schuhe voll Wasser. Bruno hält den Schirm und drängt mich im Laufen beiseite. Vor dem Psychologischen Institut steht ein Streifenwagen in einer Nothaltebucht. Ein junger schwarzer Constable im Regenmantel tritt aus dem Gebäude. Er ist groß und kurzhaarig, seine Schultern sind leicht gebeugt, als hätte der Regen sie niedergedrückt.
    »Dr. Kaufman?«
    Bruno nickt kaum merklich.
    »Wir haben eine Notsituation auf der Clifton Bridge.«
    Bruno stöhnt. »Nein, nein, nicht jetzt.«
    Eine Weigerung hat der Constable nicht erwartet. Bruno drängt, noch immer meinen Schirm in der Hand, an ihm vorbei zur Glastür des Psychologischen Instituts.
    »Wir haben versucht, Sie telefonisch zu erreichen«, ruft der Polizist. »Ich habe den Auftrag, Sie abzuholen.«
    Bruno bleibt stehen und wendet sich, Kraftausdrücke murmelnd, um. »Es muss doch noch jemand anderen geben. Ich habe keine Zeit.«
    Regentropfen kullern über meine Wange. Ich frage Bruno, was los sei.
    Seine Miene hellt sich plötzlich auf. Er springt über eine Pfütze und gibt mir meinen Regenschirm zurück, als würde er die olympische Fackel weiterreichen.
    »Das ist der Mann, den Sie eigentlich suchen«, sagt er zu dem Polizisten. »Mein geschätzter Kollege, Professor Joseph O’Loughlin, ein klinischer Psychologe mit herausragendem Ruf. Ein alter Hase mit großer Erfahrung in diesen Dingen.«
    »In welchen Dingen?«
    »Na, mit Leuten, die springen.«
    »Verzeihung?«
    »Auf der Clifton Suspension Bridge«, fügt Bruno hinzu. »Irgendein Schwachkopf, der nicht genug Grips hat, bei dem Regen zu Hause zu bleiben.«
    Der Constable öffnet mir die Beifahrertür. »Weiblich. Anfang vierzig«, präzisiert er.

    Ich begreife noch immer nicht.
    »Komm schon, alter Junge«, fügt Bruno hinzu. »Das ist Dienst an der Allgemeinheit.«
    »Warum machst du es nicht?«
    »Wichtige Termine. Ein Treffen aller Institutsleiter mit dem Rektor.« Er lügt. »Keine falsche Bescheidenheit, alter Junge. Was ist mit dem jungen Burschen, dem du in London das Leben gerettet hast? Wohlverdiente Lorbeeren. Du bist ungleich besser qualifiziert als ich. Mach dir keine Sorgen. Wahrscheinlich springt sie eh, bevor du da bist.«
    Ich frage mich, ob er sich manchmal selbst reden hört.
    »Ich muss mich sputen. Viel Glück.« Er stößt die Glastür auf und verschwindet in dem Gebäude.
    Der Polizist hält noch immer die Wagentür auf. »Die Brücke ist abgesperrt worden«, erklärt er. »Wir müssen uns wirklich beeilen, Sir.«
     
    Die Scheibenwischer schlagen hin und her, eine Sirene heult. Im Innern des Wagens klingt sie eigenartig gedämpft, sodass ich mich immer wieder nach einem Streifenwagen umsehe. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass die Sirene noch viel näher ist, nämlich auf dem Dach über mir.
    Gemauerte Türme tauchen am Horizont auf. Die Clifton Suspension Bridge ist Brunels Meisterwerk, ein Wunderwerk der Ingenieurskunst im Dampfzeitalter. Rücklichter verschwimmen. Der Verkehr staut sich länger als eine Meile vor der Auffahrt zur Brücke. Auf dem Randstreifen fahren wir an den stehenden Fahrzeugen vorbei bis zur Straßensperre der Polizei.
    Der Constable öffnet mir die Tür und gibt mir meinen Regenschirm. Eine Böe weht mir den Regen seitlich ins Gesicht und reißt mir den Schirm fast aus der Hand. Vor mir liegt die verlassene Brücke. Die gemauerten Türme stützen die gigantischen verketteten Trägerkabel, die sich anmutig bis zur Fahrbahn schwingen und zum gegenüberliegenden Ufer hin wieder ansteigen.

    Eine Eigenschaft von Brücken besteht darin, dass sie die Möglichkeit bieten, eine Überquerung zu beginnen, ohne je auf der anderen Seite anzukommen. Für Menschen, die das so sehen, ist eine Brücke virtuell, ein offenes Fenster, an dem sie vorbeigehen oder durch das sie hinausklettern können.
    Die Clifton Suspension Bridge ist eine Sehenswürdigkeit, eine Touristenattraktion und eine bekannte Selbstmörderbrücke. Gut ausgelastet, häufig benutzt; »beliebt«
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