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Dein ist das Leid (German Edition)

Dein ist das Leid (German Edition)

Titel: Dein ist das Leid (German Edition)
Autoren: Andrea Kane
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der kleine Kerl ist ein echter Kämpfer. Offenbar erkennt er schon die Stimme seiner Mama. Bis Sie gekommen sind, war er ganz ruhig. Möchten Sie ihn eine Weile halten?“
    Die Frage war reine Routine, denn die Antwort kannte die Schwester längst. Amanda nahm ihr Baby so oft in den Arm, wie sie konnte. Das war eins der wenigen Dinge, die sie ihm im Augenblick zu bieten hatte – die Wärme ihres Körpers, die leisen Wiegenlieder, die ihn immer beruhigten, und ihre ständigen Gebete und ihre Liebe. Doch ihn im Arm zu halten war eine bittersüße Erfahrung. Das Entzücken, das sie empfand, wenn er mit seinen winzigen Fingern ihre umfasste, war ganz unglaublich. Gleichzeitig fühlte sie sich schuldig, weil sie ihn nicht stillen, nicht einmal mit der Flasche füttern konnte, er stattdessen mit Infusionen ernährt werden musste, weil er so keuchend atmete und weil er eine Infektion hatte – und die hatte er von ihr. Dieses Schuldgefühl breitete sich in ihr aus wie ein schleichendes Gift.
    Nun schmiegte sie ihn an sich, ganz vorsichtig, um den Infusionsschlauch nicht zu berühren, wiegte ihn und sang ihm leise die Schlaflieder vor, die er so zu lieben schien. Er hörte auf zu strampeln, sein kleiner Körper entspannte sich, während er die Sicherheit in der Umarmung seiner Mutter und den melodischen Klang ihrer Stimme genoss. Für diesen Moment war seine Welt völlig in Ordnung – und Amandas Welt auch.
    Falls Paul tatsächlich noch am Leben war, musste er sich doch auch auf der Stelle in dieses kleine Wunder verlieben.
    Tränen stiegen wieder in Amandas Augen auf und liefen unter demMundschutz ihre Wangen hinab. Wegen der Qual, der Sorgen und der Hormone fing sie bei der kleinsten Gelegenheit zu heulen an. Sogar in Gegenwart von Marc Devereaux hatte sie weinen müssen, aber der war sehr verständnisvoll gewesen. Er hatte ihren Fall übernommen. Er war zuversichtlich. Er hatte ihr Mut gemacht. Sie glaubte an seine Fähigkeiten.
    Aber würden sie Paul finden? Konnte Paul überhaupt noch lebend gefunden werden? Oder machte sie sich da nur etwas vor?
    Sie hatte so lange um ihn getrauert. Sogar noch stärker, als sie herausfand, dass sie sein Kind in sich trug. Sie hatten nie darüber geredet, ob sie einmal Kinder haben wollten, nicht einmal darüber, zusammenzuziehen. Das wäre auch noch ein bisschen früh gewesen. Sie waren ja erst seit fünf Monaten zusammen gewesen. Aber das waren fünf sehr intensive Monate gewesen, voller Liebe, erfüllt von einer Leidenschaft, die Amanda zuvor nie erlebt hatte. In Justin floss das alles zusammen. Aber Paul würde nie die Gelegenheit haben, dieses Wunder, das sein eigener Sohn war, mit ihr zu teilen.
    Als sie herausgefunden hatte, dass Paul vielleicht doch noch lebte, war das für sie ein schrecklicher Hieb in die Magengrube gewesen. Fassungslosigkeit, Hoffnung, Verwirrung, Verrat und vor allen Dingen Zorn, all diese Gefühle packten sie nacheinander. Aber wegen Justins furchtbarer Diagnose wurden sämtliche Emotionen in dem verzweifelten Willen vereint, Paul zu finden. Die Tatsache, dass er ihr möglicherweise vom ersten Tag an etwas vorgemacht haben könnte, dass er sie einfach abserviert und sich verzogen hatte, das hatte nicht die geringste Bedeutung. Nur Justin war wichtig. Sie musste ihrem Baby das Leben retten. Und wenn es dazu notwendig werden sollte, auf den Knien einen Mann anzuflehen, der sie zum Narren gehalten hatte.
    Justin hustete leise, verzog das Gesicht und strampelte mit den Beinen. Der Klang dieses Hustens gefiel Amanda gar nicht. Ebenso wenig, dass seine Nase ständig lief. Er sah auf einmal blasser aus. Er schien auch plötzlich aufgeregt zu sein. War das ein normales Verhalten für ein Baby, oder wurde die Lungenentzündung schlimmer? Sie musste Dr. Braeburn finden und ihn danach fragen.
    Sie hörte auf zu singen und drückte einen Kuss auf Justins seidiges Haar. Bitte, lieber Gott, betete sie. Bitte mach, dass Forensic Instincts Paul findet. Bitte mach, dass er ein gesunder Spender für Justin ist. Bitte.
    Aber Amanda war Realistin. Sie wusste, dass Gebete allein nicht ausreichen würden.
    Ryan McKays Höhle, wie das Team sie nannte, nahm den gesamten Keller von Forensic Instincts ein. Normalerweise hielt er sich ganz allein da unten auf, umgeben von seinen summenden Servern, seinen technischen Spielereien und seinen Fitnessgeräten. Aber im Augenblick war alles anders. Obwohl es schon nach zwei Uhr morgens war, ging Marc in Ryans Reich auf und ab wie ein
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