Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet

Titel: Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
Autoren: Carol Kloeppel
Vom Netzwerk:
riet ihm, seine Strategie nochmals zu überdenken: »Sie brauchen einen amerikanischen Producer mit einem dicken Rolodex.« Der strategisch gewiefte deutsche Chefredakteur hatte erkannt, dass es von Vorteil war, sich mit den Einheimischen zu verbünden, um Erfolg zuhaben. So kam ich ins Spiel, die amerikanische Producerin »mit einem dicken Rolodex«. Dabei hat Peter mich bei unserem kurzen Treffen gar nicht nach meinem Rolodex gefragt. Aber das Exemplar, das ich nach New York mitbrachte, hatte tatsächlich keinen geringen Umfang. Es sollte unserem kleinen Nachrichtenbüro oftmals gute Dienste leisten und indirekt zu einer Verbindung fürs Leben führen.
    Im Mai 1990, beim Gipfeltreffen zwischen Bush senior und Gorbatschow in Washington D. C., war ich Peter zum ersten Mal begegnet. Mein damaliger Arbeitgeber Conus, der für die satellitengestützte Nachrichtenübertragung verantwortlich war, hatte mich nach Washington geschickt, um die Berichterstattung für unsere ausländischen Auftraggeber zu koordinieren. Peter sollte vor Ort für seinen deutschen Privatsender über das Gipfeltreffen berichten.
    Auf meine Kollegin Patrice machte er sofort Eindruck: »Hast du die grünen Wildlederschuhe von dem Deutschen gesehen? Sogar sein Jackett ist farblich auf die Schuhe abgestimmt.«
    Wir amüsierten uns gemeinsam über die scheinbar aktuelle Männermode in Europa. Sie verlieh den deutschen Männern eine gewisse Faszination, bei der selbst die uns bekannten Italiener und Franzosen nicht mithalten konnten. Hier war ein Deutscher mit grünen Wildlederschuhen, der offenbar Wert auf Mode und Eleganz legte.
    Ken, unser Chefredakteur vor Ort, hatte dazu seine eigene Meinung: »Wer weiß, vielleicht ist der Typ ja schwul.« Ken hatte viel Sinn für Humor und riss ständig Witze, aber gleichzeitig war er nicht auf den Kopf gefallen, sodass man nie wissen konnte, ob er besser informiert war als man selbst. Kens Bemerkung beschäftigte mich noch eine Weile.
    Welches Geheimnis Peter auch immer umgeben mochte, er war jedenfalls richtig nett, und meine forsche Kollegin Patrice lud ihn für den Abend ein: »Wie wär’s, wenn Sie sich unsheute Abend anschließen? Es treffen sich eine Menge Journalisten aus der ganzen Welt zum Tanzen, und Sie sind herzlich eingeladen.« – »Tut mir leid, aber ich habe heute Abend bereits etwas vor«, antwortete Peter.
    Okay, der Deutsche mit den grünen Schuhen, der womöglich schwul war, hatte etwas Besseres vor, als an diesem Abend mit uns auszugehen. Das erschien uns ein wenig seltsam. Peter war höflich und machte einen netten Eindruck, blieb jedoch distanziert und behielt seine Gedanken für sich. Er erzählte zwar gerne von seiner nächsten Live-Aufnahme oder Redaktionssitzung, aber mehr auch nicht.
    Als das Gipfeltreffen sich dem Ende zuneigte und unsere Arbeit in Washington D. C. getan war, bereiteten wir uns alle auf unsere Heimreise vor. So ein politisches Ereignis lockt immer eine riesige Journalistenschar aus der ganzen Welt an. Sie ähnelt ein bisschen einem Bienenschwarm, der für ein paar Tage die Stadt belagert. Am Ende ist man jedes Mal traurig, wieder wegzufliegen und einen leeren Bienenstock zurückzulassen. Beim Auschecken aus dem Hotel traf ich zufällig erneut auf Peter.
    Mir war zu Ohren gekommen, dass sein Haussender RTL plus plante, ein Nachrichtenbüro in New York zu eröffnen. Vielleicht war das der Grund, warum mir eine der vernünftigsten Bemerkungen über die Lippen kam, die ich je geäußert habe: »Sollten Sie in New York eine Producerin brauchen, rufen Sie mich an. Es war sehr angenehm, mit Ihnen zu arbeiten. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise.«
    »Ja, danke«, war im Grunde alles, was Peter entgegnete.
    Sicher, er war ein wenig zurückhaltend und in sich gekehrt, allerdings blieb er immer freundlich. Für mich war die Möglichkeit, in New York in einem neu eröffneten Auslandsbüro zu arbeiten, hundertmal reizvoller als die, einen weiteren Winter in Minnesota mit Schneeschaufeln und Eisangeln überstehen zu müssen.
    Das Unglaubliche geschah: Ein paar Monate später war ich in Manhattan und arbeitete für den womöglich schwulen Mann mit den grünen Schuhen. Dem Rolodex sei Dank.
    New York ist in vielerlei Hinsicht sehr europäisch, und ein One-Way-Ticket zum Big Apple ist eine gute Vorbereitung auf ein Leben im Ausland. In keiner anderen amerikanischen Stadt hört man so viele unterschiedliche Sprachen und lernt so viele verschiedene Kulturen kennen. New York
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher