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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich
Autoren: Rebecca Gablé
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großen Augen auf seinen Vater hinab, der sich stöhnend im Fieberkrampfwälzte, und Tränen begannen seine schmutzigen Wangen hinabzurinnen.
    Ælfric vergeudete keine Zeit mehr. Er hastete die Stiege hinab und ins Freie. Vor dem Tor warteten seine Söhne mit den Pferden. »Dunstan, hol deine Mutter. Schnell. Und dann finde heraus, wem Ine gestern abend gesagt hat, sein Vater sei krank.«
    Dunstan drückte Cædmon die Zügel in die Hand, wandte sich ab und rannte über den Hof zur Halle hinüber.
    »Was ist mit Edgar?« fragte Cædmon.
    Ælfric seufzte leise. »Ich glaube nicht, daß deine Mutter ihm noch helfen kann. Wo ist Guthric?«
    »Ich weiß nicht, Vater«, log Cædmon.
    Guthric hatte ihm während des Frühstücks eröffnet, daß er nicht die Absicht habe, mit nach Metcombe zu reiten, und war kurz darauf mit dem kleinen Eadwig an der Hand ins Dorf aufgebrochen, wo er, so vermutete Cædmon, Vater Cuthbert heimsuchen und so lange beschwatzen würde, bis der Dorfpriester sich bereitfand, ihm ein paar neue Buchstaben beizubringen. Helmsby war eine ärmliche Gemeinde mit einer zugigen, schäbigen kleinen Holzkirche, und der Priester und seine Frau lebten in einer ebenso zugigen, schäbigen kleinen Kate. Vater Cuthbert bewirtschaftete kein Land, er und seine Familie lebten von den kärglichen Erträgen ihres Gemüsegartens und dem, was die Gemeindemitglieder an Kirchenabgabe erübrigen konnten. Aber der Priester besaß einen Schatz von großer Seltenheit: ein dickes, in Leder gebundenes Buch voll brüchiger Pergamentseiten, die Auszüge aus der Bibel und einige Heiligengeschichten enthielten. Sein Latein war so schlecht, daß er kaum in dem kostbaren Buch lesen konnte, aber er kannte die Buchstaben und hatte auf Guthrics hartnäckiges Drängen hin begonnen, ihn zu unterrichten.
    »Ich kann mir schon vorstellen, wo er steckt«, knurrte Ælfric.
    Cædmon fuhr seinem struppigen Kaltblüter über die lange Stirnlocke und sah mit vorgetäuschtem Interesse zum Himmel auf. »Wird Regen geben.«
    »Um so besser. Die Erde ist zu hart zum Pflügen.«
    »Ja.«
    Ælfric betrachtete Cædmon einen Augenblick, der unbewußt sein ganzes Gewicht auf den Stock gestützt hatte. »Wirst du es schaffen bis Metcombe?«
    Cædmon sah verlegen zu Boden. »Natürlich.«
    »Das Bein immer noch taub?«
    Der Junge nickte.
    Ælfric zeigte sein seltenes Lächeln. »Das vergeht schon wieder.«
    »Ja. Bestimmt.«
    »Verdammt, wo bleibt deine Mutter …«
    Wie aufs Stichwort erschien Marie an der Tür zur Halle, hastete die Stufen hinab und überquerte den Hof. Dunstan folgte ihr. Ohne anzuhalten trat sie durch das Stalltor, und gleich darauf hörten sie die Stiege knarren. Ælfric nickte seinen Söhnen zu. »Also. Höchste Zeit, daß wir uns auf den Weg machen.«
    Cædmon klemmte sich seinen Stock unter den Arm und packte den Sattel mit beiden Händen. Er konnte nicht aufsitzen, indem er den linken Fuß in den Steigbügel stellte, weil der Fuß sofort wegknickte, wenn er ihn mit seinem Körpergewicht belastete. Also sprang er mit dem gesunden Fuß ab, stemmte sich hoch und schwang sich in den Sattel.
    Ælfric war ebenfalls aufgesessen, aber Dunstan stand noch mit dem Zügel in der Hand, er hielt den Kopf untypisch gesenkt und räusperte sich nervös. »Vater …«
    Ælfric sah ihn wortlos an.
    »Ine ist zu mir gekommen gestern abend«, gestand Dunstan. »Ich wollte es Mutter auch sofort sagen, aber …« Er brach kopfschüttelnd ab. »Du hast es einfach vergessen«, beendete sein Vater den Satz für ihn. Dunstan nickte.
    Ælfric sah zum Himmel auf, als wolle er Gott fragen, was er denn verbrochen habe, um mit so einem Nichtsnutz von Sohn geschlagen zu sein. »Herrgott, Dunstan …«
    »Ich weiß.« Dunstan hob den Blick und sah den Vater offen an. »Wenn er stirbt, ist es vielleicht meine Schuld, und gute Sklaven sind teuer.« »Und darüber hinaus schwer zu finden. Vielleicht sollten wir dich ein paar Monate seine Arbeit tun lassen, damit du endlich lernst, Verantwortung zu tragen.«
    Dunstan starrte den Vater entsetzt an. »Aber …«
    Ælfric schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. »Warten wir ab, wie die Sache ausgeht und was deine Mutter sagt. Für heute kannst du deine Bußfertigkeit unter Beweis stellen, indem du hierbleibst und mit Wulfric zusammen das Pflügen überwachst.«
    Dunstan war alles andere als begeistert, aber er hütete sich, seinenUnwillen zu zeigen. Er fand, er war ausgesprochen gut davongekommen. Vorerst. Er wäre
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