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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich
Autoren: Rebecca Gablé
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nicht klar, daß du dabei an die Rolle des Hirschs gedacht hast«, bemerkte er. Dann griff er unter Cædmons Achseln hindurch und umschloß seine Brust mit beiden Armen. »Fertig.«
    Cædmon sank zurück in die knochige und doch so tröstliche brüderlicheUmarmung, blickte starr in den durchhängenden Baldachin hinauf und konzentrierte sich darauf, die Zähne fest zusammenzubeißen.
    So sah er nicht, daß seine Mutter die Hände hob und die Linke um den kurzen Schaft legte. Dieses Mal zuckte der tückische Schmerz bis in die Schulter, und Cædmon schrie auf.
    Marie de Falaise war in kriegerischen Zeiten in der Normandie aufgewachsen und hatte schon als junges Mädchen die Kunst ihres Vaters, der Wundarzt gewesen war, erlernt. Was in der Normandie als ausgesprochen unweiblich galt, hatte hier in England keine besondere Aufmerksamkeit erregt, als Ælfric of Helmsby schließlich mit König Edward aus dem normannischen Exil heimgekehrt war und seine Frau mitgebracht hatte. Ihre Heilkünste hatten dem einen oder anderen in Helmsby das Leben gerettet – Marie hatte sogar einmal einem altgedienten Housecarl nach einem bösen Sturz beim Pferderennen den zertrümmerten Arm abgenommen. Aber bei ihrem eigenen Sohn wurde sie plötzlich zimperlich.
    Als Cædmon sah, daß sie den Mut verloren hatte, kehrte seine eigene Entschlossenheit zurück. Er atmete tief durch. »Tu es. Und gebt mir irgendwas, worauf ich beißen kann, sonst stürzt die Halle ein.«
    Guthric lachte leise, zog sein Messer aus der Hülle am Gürtel und steckte Cædmon den hölzernen Schaft zwischen die Zähne. Dann verschränkte er die Hände wieder vor dessen Brustkorb.
    Marie legte beide Hände übereinander an den Pfeil und zog. Sie drehte nicht, um die Wunde nicht zu vergrößern, ruckte beinah sanft, und der Pfeil gab ein wenig nach. Dann griffen seine Widerhaken erneut in das Muskelfleisch.
    Der Pfeil muß raus, betete Cædmon sich vor. Er klammerte sich an den Satz, hob ihn wie einen Schild vor sein Bewußtsein. Der Pfeil muß raus, es wird nicht lange dauern, gleich ist es vorbei … Gott, mach, daß es bald vorbei ist …
    Seine Zähne gruben sich in das Holz des Messergriffs, er krallte die Hände in Guthrics Unterarm, und sein Blick wurde unscharf. Er hörte seine eigenen Schreie nur wie aus weiter Ferne, aber er wurde nicht bewußtlos. Seine Schultern spannten sich, und Guthric preßte sich dagegen und hielt ihn und versuchte stumm, seine eigene Kraft in den Bruder überfließen zu lassen.
    Dann zog Marie mit einem letzten Ruck die Pfeilspitze aus der Wunde, und es war vorbei.
    »Gut gemacht, Cædmon. Jetzt gib mir das Messer.« Marie faßte die scharfe Klinge vorsichtig mit zwei Fingern, legte die andere Hand unter sein Kinn und half ihm, den Mund zu öffnen. »Hier, trink das.«
    Er spürte einen Becher an den Lippen und schluckte. Es war starker Wein. Den Geschmack war er nicht gewöhnt, und er öffnete verblüfft die Augen. Als sie den Becher absetzte, keuchte er.
    Marie gab den restlichen Wein auf ein reines Tuch und drückte es behutsam auf die Wunde. Der Alkohol brannte, aber das war nichts im Vergleich zu dem höllischen Schmerz, den er hinter sich hatte. Er fand das Brennen fast leicht zu ertragen. Sein Körper entspannte sich. Während seine Mutter ihm einen Verband anlegte, ließ er sich zurücksinken und löste seinen Klammergriff um Guthrics Unterarm. Seine Nägel hatten blutige Halbmonde hinterlassen.
    »Entschuldige, Bruder …«
    Guthric lächelte und stand vom Bett auf. »Komm. Laß uns nachsehen, was die anderen uns vom Essen übriggelassen haben.«
    Aber Marie schüttelte den Kopf. »Cædmon bleibt hier und rührt sich bis morgen früh nicht vom Fleck. Das Bein muß ruhig liegen, hörst du?«
    Cædmon sah verwundert auf. »Und willst du mit Vater statt dessen in der Halle schlafen?« erkundigte er sich. Dieses war das einzige Privatgemach. Nur der Thane und die Dame der Halle genossen das Privileg, sich zurückziehen zu können. Ihre Kinder schliefen, sobald sie dem Kleinkindalter entwachsen waren, mit den Housecarls und deren Familien, den Mägden und dem übrigen Gesinde im Stroh auf dem Fußboden der großen Halle.
    Marie bedachte Cædmon ob seiner respektlosen Bemerkung mit einem mißfälligen Stirnrunzeln. »Ich denke nicht, daß dein Vater vor morgen früh heimkommt. Und selbst wenn. Für eine Nacht ist hier Platz genug für drei.«
    »Dann lasse ich euch etwas zu essen bringen«, erbot sich Guthric.
    Cædmon hätte keinen
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