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Das Wunder von Bajkonur

Das Wunder von Bajkonur

Titel: Das Wunder von Bajkonur
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nachdenklich in den Rauch. »Natürlich nur zum Segen unserer Gemeinde.«
    »Natürlich nur …« Iwin blinzelte zu der Glocke empor. »Sie ist wirklich von Mischura aus Karaganda.«
    »Idiot!«
    »Ich habe sie vor zwei Jahren gekauft und ab 30 Rubel beim Begräbnis geläutet«, sagte Iwin beleidigt. »Wo sollte ich so schnell eine Glocke herbekommen? Zum Glück hängt sie hoch genug, so daß keiner den gravierten Klöppel sehen kann.«
    Auch der Arzt Dr. Slobin sah sie nicht, die Gravierung, als er gegen Abend ins Haus kam, um des Wunders zweiten Teil zu betrachten. Aber das erregte ihn auch nicht so sehr … vielmehr griff ihn der Anblick der großen Altweiberschar ans Herz, denn es waren etliche Frauen darunter, die seit Wochen unbeweglich im Bett lagen und sich von ihm behandeln ließen. Jetzt rutschten sie sehr lebendig und forsch auf den Knien herum und murmelten Gebete.
    »Mir stockt der Kreislauf«, sagte Dr. Slobin heiser vor Zorn. »Da sind neun Weiber darunter, die im Sterben lagen! Wenn ich an ihr Bett trat, röchelten sie wie rostige Zahnräder …«
    »Das hier ist eben ein Wunder, Dr. Slobin!« sagte Iwin treuherzig. »Der Klang der Glocke zusammen mit den Strahlungen … wer hat dafür Erklärungen?«
    »Ich! Das hier ist eine Psychose.«
    »Haben Sie etwas Besseres als Gegenmittel?« fragte Gubenko hart. Dr. Slobin starrte ihn ungläubig an. Die Miliz also auch schon, dachte er erschrocken. Der Bazillus der Dummheit ist nicht zu bremsen.
    »Ja!« sagte Dr. Slobin laut. »Ich werde mit meinem Jagdgewehr kommen und die Glocke vom Balken schießen. Und dann werde ich auf die Strafe Gottes warten.«
    »Es bleibt die feurige Kugel.« Iwin grinste freundlich. »Diese Tatsache können Sie nicht leugnen und nicht erklären. Größer als ein Fußball. Einen Meter über der Erde. Schwebt lautlos dahin, quer durch den Lebensmittelladen. Mit fünf Zeugen, die keine Idioten sind. Das bleibt! Bajkonur und Bethlehem … beide fangen mit B an …«
    »O Himmel!« stöhnte Dr. Slobin und schlug die Hände zusammen. »Wohin kommen wir? Entsetzlich wird das! Hier muß doch etwas geschehen!«
    Er warf sich herum und rannte aus dem Haus. Im Garten traf er auf Weronika und Rachim. Sie saßen im Abendrot, sahen sehr zufrieden aus und hatten Zahlen im Kopf. Rachim hatte ausgerechnet, daß das Spendenaufkommen der Gläubigen das Zehnfache des Lebensmittelumsatzes im Laden ausmachte. Mit dieser Rechnung konnte man zufrieden leben.
    »Guten Abend, Genosse Doktor!« riefen sie im Duett, als sie ihn bemerkten.
    Slobin, der eigentlich etwas hatte fragen wollen, winkte ab und verließ das Grundstück durch das Gartentor. Sie sind brave Menschen, dachte er. Ein unbegreifliches Schicksal hat sie einfach überrollt. Nun werden sie auch noch zermahlen. Arme Jakowlews!
    Auf der Fahrt nach Hause begegnete Dr. Slobin zwei Jahrmarktswagen. Sie ratterten in Richtung Ortsausgang.
    Der Aufbau eines Wallfahrtsortes begann …
    Wer ein Herz in der Brust hat und ein mitfühlender Mensch ist, dem muß klar sein: Butejew war zutiefst zu bedauern. Alexej Igorowitsch wurde von den Ereignissen in seiner schönen, sonst so friedlichen Stadt glatt überrollt. Ein Wunder, das läßt man sich noch gefallen – aber zwei Wunder direkt hintereinander, das übertrifft eben alles, was man bisher gehört hatte.
    Butejew war es als erfahrenem Dorf Sowjet klar, daß es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis man in der Bezirksstadt Karaganda von den erstaunlichen Vorgängen in Bajkonur erfuhr. Dann würde der Genosse Gebietskommissar erscheinen, um große Worte zu reden. Stieg dann noch die Presse ein, war es möglich, daß die Affäre Kreise bis nach Moskau zog. Dort würde man Butejew einen Schwachkopf nennen und anordnen, daß er als Ortssowjet abgelöst würde. Das war dann das Ende der angenehmen und ruhigen Karriere – und alles nur, weil eine feurige Kugel durch den Laden der Jakowlews geschwebt war. Etwas war geschehen, das es gar nicht gibt für einen kleinen Menschenverstand.
    Hilflos und voll ohnmächtiger Wut mußte Butejew erleben, wie der Wunderheiler Bisti seine Praxis im Hinterzimmer von Rachim Victorowitsch aufnahm, und wie sich seine Patienten mit verklärten Blicken von den kosmischen Strahlen berieseln ließen. Jefim Jefimowitsch stellte sie zu diesem Zweck unter einen schnell konstruierten ›Elektromagnetischen-Korpuskularstrahlen-Bogen‹, der aus Sperrholz bestand, überzogen mit Stanniolpapier. Allein der Name erzeugte einen wohligen
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