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Das Wunder von Bajkonur

Das Wunder von Bajkonur

Titel: Das Wunder von Bajkonur
Autoren: Heinz G. Konsalik
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es auch mal haben«, sagte Butejew bitter und verließ das verfluchte oder geweihte Haus … je nachdem, wie man die Dinge betrachtete. »Ich werde die Feuerwehr beauftragen, die Glocke abzunehmen.«
    Das Vorhaben scheiterte. Nicht an der Glocke, die sich vielleicht gar nicht abnehmen ließ – wer wußte das? – sondern am Widerstand des Genossen Brandmeister. Der Schielende hatte ihn bereits gewarnt, bevor Butejew bei ihm erschien.
    »Es ist nicht Aufgabe der Feuerwehr, etwaige Wunder zu entfernen«, sagte der Brandmeister betont. »Siebzig Prozent meiner Leute sind sehr gläubig … sie würden niemals auf die Leiter steigen und so etwas ausführen.«
    »Die anderen dreißig Prozent reichen!« bellte Butejew. »Ich brauche zwei Mann!«
    »Nicht von uns, Genosse! Befehlen Sie das einem städtischen Arbeiter! Ich bin gern bereit, selbst die Glocke abzunehmen, wenn Sie mir erklären können, wie sie an den Balken gekommen ist.«
    »Die Engelchen haben sie aufgehängt!« brüllte Butejew außer sich.
    »Wenn es so ist, hat die Feuerwehr dort nichts zu suchen …«
    Damit war das Gespräch beendet. Butejew fuhr zu den Jakowlews zurück und fand das ganze Haus voller Menschen. Sie trugen brennende Kerzen in den Händen, Heiligenbilder, Reiseikonen, Blumensträuße, Blütenkränze und geflochtene Girlanden. Meist waren es alte, gebeugte Weiblein, aber der Aufmarsch war enorm und die Stimmung wie bei einer Prozession. Über allem lag das einförmige Gemurmel von Gebeten.
    Polizist Gubenko regelte den religiösen Verkehr. Er ließ jeweils fünf Weiblein in den Laden, verschloß dann die Tür und wartete, bis drinnen das Glöcklein bimmelte. Das hieß: Die Nächsten bitte. Iwin, der Schielende, stand am Glockenstrick und bestimmte die Betzeit. Um ihn herum hatte der Kunstmaler Flechtkörbe für die Opfergaben aufgestellt … das war ein Metier, in dem sich Iwin auskannte. Wer gut in die Körbe legte, durfte auch länger unter der Glocke beten. Oleg Gregorijewitsch hatte ein strenges, waches Auge, auch wenn er in die andere Ecke guckte. Aber die Weiblein kannten ihn ja nur zu gut … sie waren doch allesamt Witwen oder standen nahe davor.
    »Das ist Massenwahn!« stammelte Dorfsowjet Butejew und blieb in seinem Auto sitzen. »Die gesamte Struktur von Bajkonur wird zerstört. Man sollte das Haus morgen in die Luft sprengen!«
    Von eins bis drei Uhr legte Polizist Gubenko eine Ruhepause ein. Weronika und Rachim zählten die Opfergaben und kamen auf 245 Rubel und 90 Kopeken. Dazu dicke Kerzen, Blumenkränze, gehäkelte Spitzendecken und sogar einen noch warmen Topfkuchen in Form einer Glocke.
    Gubenko war begeistert: »245 Rubel! An einem Vormittag! Das ist phänomenal! Da sieht man einmal, was die Kirchen verdienen, wenn sie die richtigen Heiligen haben. Aber nun sind wir dran, die ›Jünger vom Abendmahl‹. Wir haben zur richtigen Zeit das richtige Wunder bekommen …«
    Auch Oleg Gregorijewitsch Iwin, der Schielende, war begeistert. Da ihm stillschweigend 10 Prozent der Wohltätigkeit zustanden, war er doch aufgrund seines Augenleidens selbst bedürftig, konnte man die rund 26 Rubel an einem Vormittag als guten Erfolg bezeichnen, zumal er dafür nicht am Grab weinen und sich seelisch verausgaben mußte. Das Ziehen am Glockenstrick war kaum Arbeit zu nennen.
    Am Nachmittag erschien zunächst der Wunderheiler Bisti in großer Aufregung. Er war erst jetzt abkömmlich, da seine Patienten sich nicht abwimmeln ließen. Wie von der Tarantel gestochen, war er vor einer halben Stunde aufgesprungen, als ihm ein Patient mitteilte, im Hause der Jakowlews hänge jetzt eine Wunderglocke, zu der schon Prozessionen unterwegs seien.
    Nun sah Jefim Jefimowitsch, daß er zu spät gekommen war. Die erste Runde war schon an Gauner gegangen, die noch schneller gewesen waren als er. Daß sie sogar unter Militärschutz arbeiteten, erschütterte ihn geradezu. Mit an die Brust gedrücktem Kinn stieß er sich durch den Haufen der alten Frauen vorwärts und prallte an der Tür natürlich auf Gubenko, der ihn böse anstarrte.
    »Was willst du hier?« fragte Gubenko dunkel. »Deine kosmischen Strahlen kannst du in einen Sack einsammeln und in den See versenken. Hier haben wir ein echtes Wunder!«
    »Ich will es betrachten, Genosse!«
    »Bitte!« Gubenko öffnete die Tür. Bisti schlüpfte in den Laden, sah als ersten den Schielenden, dann die betenden, knienden Weiber, zuletzt die kleine Glocke oben am Balken. Noch mehr erschütterte ihn die
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