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Das Wunder von Bajkonur

Das Wunder von Bajkonur

Titel: Das Wunder von Bajkonur
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Diejenigen Menschen, die nicht rechtzeitig vorgewarnt worden waren, kamen in Verlegenheit, wenn Iwin sie ansah. Sie lächelten zurück, aber er verzog keine Miene, denn in Wirklichkeit blickte er zur anderen Seite. Blickte er aber weg, und die Ahnungslosen atmeten auf – dann sah er einen gerade an … so verwinkelt waren seine Augen.
    Jetzt, vom Polizisten Gubenko gerufen, erschien Iwin mit einem Sack über der Schulter.
    Er begrüßte Rachim Victorowitsch mit einem Kopfnicken und blickte dabei im rechten Winkel vorbei. Das hieß: Er sah den Kunstmaler Jakowlew voll an. Als er den Sack von der Schulter fallen ließ, ertönte ein heller Ton.
    Gubenkos Gesicht verklärte sich: »Wo hängen wir das Glöcklein auf?«
    »Ja, wo denn?« sagte Jakowlew hilflos.
    »Dort, wo der feurige Stern stehengeblieben ist!«
    »Vor dem Korb mit den kandierten Feigen?«
    »Darüber!«
    »Da hingen früher Würste …«
    »Jetzt wird dort unsere Glocke hängen«, sagte Gubenko feierlich, »im geweihten Raum. Der Stern von Bajkonur … Freunde, mir schießen die Tränen in die Augen! Wer ist schon so wie wir gesegnet worden?«
    In der Nacht montierten der Schielende und der Polizist Gubenko die Glocke an die Decke des Lebensmittelladens. Rachim Victorowitsch, der Kunstmaler, ließ es sich nicht nehmen, für Allah ebenfalls etwas zu tun und die eifrigen Christen nachzuahmen. Aus Kisten bastelte er eine Gebetsnische, überklebte sie mit buntem Schrankpapier, legte einen Teppich davor und ortete mit einem Kompaß genau die Richtung, in der die heilige Stadt Mekka liegen mußte.
    Bei Anbruch des Tages zog Iwin am Glockenseil, Gubenko und Weronika Alexandrowna beteten und Rachim Victorowitsch lag vor seiner Gebetsnische auf den Knien und murmelte Suren.
    Mit Beginn der Geschäftszeit aber stand Gubenko draußen und verscheuchte die Kundschaft. Die Jakowlews saßen hinter der Scheibe, zählten die Kunden, rechneten sich ihren Gewinn aus, der nun verloren ging, und schluchzten leise und trocken in sich hinein.
    Gegen neun Uhr fuhr der Dorfsowjet Butejew vor. Er sah übernächtigt aus, blaß um die Augen, farblos fast die Lippen. Die Aufregung hatte ihn wach gehalten. Wem geht es nicht ans Herz, wenn eine leuchtende Kugel am hellen Tag durch ein Haus schwebt?
    »Etwas Neues?« rief er schon beim Aussteigen. »Iwan Michailowitsch, was haben Sie zu melden?«
    »Jetzt ist eine Glocke da!« sagte Gubenko mit strammer Haltung.
    »Was ist da?« schrie Butejew und mußte sich an seinen Wagen lehnen. »Eine Glocke? Wo?«
    »Sie hängt an der Decke, genau über dem Punkt, wo die Kugel stehengeblieben war.«
    »Wer hat sie da hingehängt?« brüllte Butejew mit hochrotem Gesicht.
    »Das frage ich mich auch, Genosse.«
    »Sie hatten Wache, Gubenko! Warum haben Sie das nicht verhindert?«
    »Man hat nichts gehört. Es war lautlos. Plötzlich, gegen Morgen, bimmelte es. Eine Glocke hing unter der Decke an einem Balken …« Gubenko blickte tapfer auf den nach Luft ringenden Butejew. »Da die Glocke ein christliches Symbol ist, hat der Genosse Jakowlew sofort eine islamische Gebetsnische gebastelt und in Richtung Mekka aufgestellt. So wurde das Gleichgewicht wiederhergestellt.«
    »Raus mit beiden!« schrie Butejew und fuchtelte mit den Händen durch die Luft. »Raus mit Jerusalem und Mekka!«
    »Wie kann eine Glocke ganz allein an einen Balken kommen?« fragte Gubenko und rührte sich nicht. Er ahnte, daß Butejew am allerwenigsten selbst die Glocke herunterreißen würde. »Hier war es so: Plötzlich hing sie da!«
    Butejew schwieg, ließ die Tür des Ladens öffnen und besichtigte die Glocke. Sie war aus gemeinem Messing, ließ sich durch einen gewöhnlichen Hanfstrick schwenken und wirkte durchaus nicht überirdisch. Dennoch verspürte sogar Butejew einen kalten Schauer über den Rücken laufen bei dem Gedanken, daß diese Glocke von allein an den Balken gelangt sein sollte.
    »Eine Glocke kann sich doch nicht selbst montieren«, zischte er zwischen den Zähnen zu Gubenko hin. »Wer das glaubt, der ist wahnsinnig.«
    »Es hat auch noch niemand einen feurigen Ball in einem Meter Höhe lautlos vorbeischweben sehen. Aber wir wissen nun: Das gibt es!« erwiderte Gubenko.
    »Und wie denken Sie darüber, Iwan Michailowitsch?« flüsterte Butejew, als stände er wirklich in einem geheiligten Raum.
    »Ich bin Milizionär und kein Philosoph, Genosse«, antwortete Gubenko stramm. »Als Beamter denke ich nicht, sondern führe nur aus …«
    »So bequem möchte ich
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