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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt
Autoren: Maarten 't Hart
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nach England fahren können. Dann hätten wir es dort provisorisch abdichten können. Und notfalls hätten wir es mit Leck und allem auch noch hin und zurück geschafft. Wir fanden, daß es jetzt reichte. Und der Kommandant da drüben fand das offenbar auch. Doch da fing das gleiche Spielchen wieder an, da sah man den Kommandanten wieder mit diesem zweiten Mann herumreden, man sah sie auf der kleinen Brücke hin und her stapfen und in einem fort debattieren. Zuerst hatte ich ja noch ein bißchen Vertrauen, dachte, der Kommandant sitzt doch am längeren Hebel, aber als es schließlich immer länger dauerte, wurde mir ganz elend, und wirklich wahr, sie brachten eine zweite Bombe an. Jetzt hatten sie eine aus ihrem Laderaum geholt, die um einiges stärker war. Als die explodierte, hatte unser Kutter nichts mehr zu melden. Doch dauerte es noch eine Dreiviertelstunde, bis er völlig gesunken war. Dann verschwand das U-Boot, und wir ruderten also auch aus der Sonne. Spätabends waren wir zurück in Hoek. Wir haben niemals auch nur einen Cent von der Versicherung bekommen, die Bombe stünde nirgends in der Police, sagten sie, ich habe mit dem Vergrößerungsglas alles Kleingedruckte nachgelesen, aber sie hatten recht... na, jetzt ist man drüber weg, das sind so Sachen...«

Teil 2
Moses
     
    Oft kostet es mich Mühe zu glauben, daß ich im Hoofd aufgewachsen bin, in dem Lumpenhandel an der Ecke President Steynstraat und Cronjestraat. Es war eine so fremde Welt, diese Welt meiner Kindheit; ein Junge wie ich wurde als gassie bezeichnet; einen Polizisten nannte man juut, Bulle. Die verheiratete Frau, die man daran erkennen konnte, daß sie immer eine Schürze trug, wurde juffrouw genannt. Eine ansehnliche Frau hieß mokkel. Eine offensichtlich häßliche Frau wurde verächtlich als jodenbed bezeichnet. Die wunderlichen Wesen mit Haarschleifen, die anderswo als Mädchen bezeichnet wurden, hießen bei uns hittepetitjes. Heiratete solch ein hittepetitje einen gassie, der inzwischen ein goser geworden war, dann bildeten sie een spannetje. Ein solches Gespann setzte sodann hurtig ein halbes Dutzend wurmen oder aposteltjes in die Welt.
    An den nach früheren Bürgermeistern benannten Kaden und in den nach Helden aus dem Burenkrieg benannten Straßen wohnten gutmütige Teerjacken, die sich selbst stolz als Seeleute bezeichneten. Sie fuhren auf Lotsenbooten oder Küstendampfern, sie waren selten länger als drei Tage von zu Hause fort. Waren sie an Land, dann schlenderten sie oder, wie sie es nannten, »stackerten« sie durch die Straßen auf der Suche nach einem akkefietje oder einem jankarretje. Man hörte sie dann zueinander sagen: »Na, ich will sehen, ob ich das für dich hinkriegen kann, aber hast du denn vielleicht noch ein Fitzelchen Tabak für mich?« Erst nach Jahren habe ich verstanden, daß ein »Fitzelchen« dort dasselbe bedeutete wie woanders »ein bißchen«, und noch immer weiß ich nicht genau, was im Hoofd akkefietje und jankarretje bedeuteten.
    Obwohl die Seeleute ab und zu einen Rachenputzer oder einen Kurzen oder einen zum Abgewöhnen kippten, wurde nicht wirklich getrunken. Es gab nur eine Gaststätte, das Café Veerhoofd, aber das schloß immer um zehn Uhr abends. Und weil nichts konsumiert wurde, gab es auch keine Schlägereien. Zu mehr als »Balgereien« kam es nicht. Eigenartig war auch, daß man oft Sätze aus der klassischen niederländischen Literatur zitierte. Bekam man an der Hafenmole einen Stoß, weil man zu dicht am Rand der Kade stand, wurde er oft von der Bemerkung begleitet: »Pats, sagte Jacob Cats ( Jacob Cats (1577-1660), niederländischer Dichter, schrieb Verse und Theaterstücke mit erzieherisch- moralischem Duktus. (Anm. d. Übers.))!«, und wenn jemand, der bisher kerngesund gewesen war, plötzlich todkrank wurde, hörte man mit Sicherheit jemanden sagen: »Jaja, es kann sich alles ändern, wie Bredero ( Gerbrant Adriaensz Bredero (1585-1618), niederländischer Dichter, schrieb vorwiegend komisch-satirische Theaterstücke. (Anm. d. Übers.)) schon sagte.«
    Mein Vater und meine Mutter stammten aus Rotterdam. Sie sprachen anfangs noch nicht die Sprache vom Hoofd. Mein Vater bezeichnete eine Frau als frommes; das Wort gebrauchte sonst niemand im Hoofd. Aber oft sagte mein Vater zu mir, wenn ich im Lagerhaus zwischen den Lumpen spielte: »Na, was pusselst du da schon wieder rum?«, und er sagte auch nie: »Das ist meins«, »das ist seins«, sondern »das ist mir« und »das ist ihm«. Und
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