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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus
Autoren: Gernot Wolfram
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Wohnzimmer; sie schienen ein schlechtes Gewissen zu haben. Als ich mich hinsetzte, entdeckte ich, dass unter meinem Teller ein Briefkuvert lag. Mein Vater hatte meinen Namen daraufgeschrieben.
    »Soll ich das jetzt öffnen?«
    Mein Vater nickte und lächelte. »Ein Geschenk für dich.«
    In dem Brief befanden sich ein Flugticket und ein kleiner Prospekt, auf dem ein villenähnliches, von hohen Palmen umgebenes Haus zu sehen war. Darunter
standen, gedruckt in schlanken schwarzen Lettern, der Name des Hotels und der Name der nordafrikanischen Insel. Hatten Sie sich dieses Geschenk nur ausgedacht, um mich von anderen Reiseplänen abzubringen?
     
     
    Eine nordafrikanische Insel … Hatte er nicht noch vor einem Jahr geplant, von Kamerun aus einen Abstecher in den Norden zu machen, um alte Freunde wiederzusehen? Das war im letzten März gewesen. Wie lange war er zuvor nicht mehr in eines dieser Länder gereist, erst recht nicht auf eine der Inseln. Viele Jahre früher, einmal … Damals war er für wenige Tage wegen eines Interviews in Nordafrika unterwegs gewesen … Langsam ergaben sich zufällige Reste von Erinnerungen: das Hotel, der Strand, der Ärger mit den nicht funktionierenden Telefonen, die Familie aus Deutschland …
     
     
    »Der Ort ist etwas Besonderes.«
    Ich war überrascht. Sonst waren meine Eltern mit mir nach Frankreich oder Portugal gefahren, immer mit dem Auto. Als ich klein war, hatten wir sogar eine Zeit lang ein altes Wohnmobil besessen, das mein Vater ausgebaut hatte. Wir waren kaum je einmal geflogen, weil meine Eltern der Meinung waren, man dürfe nicht den Massentourismus unterstützen. »Ist es nicht herrlich, dass wir eine ruhige Zeit haben werden - an einem wirklich versteckten Ort?«

    Nun lagen da die von keinem Knick beschädigten Flugtickets auf dem Frühstückstisch. Drei Stück. Und der Prospekt, der dieses altmodische, in einem strömenden Licht stehende Hotel zeigte.
    Meine Mutter setzte sich neben mich und legte den Arm um meine Schultern.
    »Freust du dich? Es ist eigentlich ein Zufall. Papa hat doch diesen Kollegen, dessen Tochter in Tunis arbeitet. Er hat uns das Hotel empfohlen. Du hast ein Zimmer nur für dich. Es geht direkt aufs Meer.«
    »Und Dänemark?«
    Ich konnte die Enttäuschung meiner Mutter spüren.
    Mein Vater blieb ruhig und meinte, eins nach dem anderen. Er verstehe, dass man in meinem Alter andere Pläne habe, als mit den Eltern in den Urlaub zu fahren. Es sei aber ihr beider Wunsch, dass die Familie in diesem Jahr noch einmal gemeinsam eine Reise unternehme. »Meinetwegen ist es die letzte.«
    Beide liebten sehr das Wort »Wunsch«. Sie verwendeten es immer dann, wenn sie eine Idee, in die sie verliebt waren, jenseits aller Kritik stellten.
    Ich war meinem Vater dankbar, dass er die Sache mit Dänemark offenließ. Zugleich fand ich die Möglichkeit aufregend, zum ersten Mal Europa zu verlassen. Ich sagte, ich würde es mir überlegen. Dann frühstückten wir gemeinsam. Es war ein langes, zugleich seltsames Frühstück, an das ich heute noch oft denke, begleitet von einer im Rückblick unheilvollen Vorfreude.
    Vielleicht hätte ich störrischer sein sollen, auf meinem Wunsch bestehen, nach Dänemark zu fahren.
Stattdessen war ich dankbar, dass meine Eltern sich etwas für mich ausgedacht hatten. Ein eigenes Zimmer in einem fernen Land, nur für mich, das war ein besonderes Versprechen.
    Mein Vater erzählte während des Frühstücks davon, wie er als Student durch Europa getrampt war, wie er in Málaga in alten Güterwaggons geschlafen, in Lissabon bei einer methodistischen Gemeinde Brot gebacken und in Westfrankreich bei der Traubenlese mitgeholfen hatte, all diese typischen Backpackergeschichten, die nur interessant sind, wenn man den Menschen gernhat, der sie erzählt.
    Ich war glücklich, dass er gesagt hatte, es sei der letzte Urlaub, den ich mit ihnen gemeinsam verbringen sollte. Diese Ankündigung klang nach kommender Freiheit und Unabhängigkeit. Ich rief Hannah und Sonja an und sagte ihnen zögerlich, dass ich nicht mitkommen würde, nicht in diesem Jahr. Daraufhin sagte Hannah etwas, das mir erst später in seiner Bedeutung vollkommen zu Bewusstsein gekommen ist. »Es ist gut. Aber kämpfe nicht mit ihnen.« War das nicht der Plan, den ich insgeheim hatte: die Ehe meiner Eltern zu retten, indem ich ihnen zeigte, dass ich von ihnen wegwollte?
    Die zwei Tage vor der Abreise verliefen ruhig und harmonisch. Bernhard und seine Frau kamen vorbei, nahmen
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