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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus
Autoren: Gernot Wolfram
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Ruhe, wenn man etwas Gutes hervorbringen will. Es ist immer besser, man hat jemanden an der Seite, der einen darin unterstützt.«
    Sonja brachte eine Tasse frisch gebrühten Kaffee und eine neue Mappe mit Zeichnungen, als meine Mutter sagte: »Maja, ich würde gern gehen.«
    Neben Sonja trottete ein alter, schwerfälliger Hund in den Laden, der erst an den Beinen meiner Mutter, dann an den am Boden herumliegenden Stofffetzen zu schnuppern begann. Ich sah meine Mutter kurz an und wusste, dass sie keine Minute länger bleiben wollte. Die beiden Schwestern schenkten mir ein Stück Stoff, den sie in eine Tüte packten. »Du kannst uns gern wieder besuchen.«

    Auf der Rückfahrt meinte meine Mutter gedankenverloren, die beiden Frauen seien sehr freundlich zu uns gewesen. »Ich frage mich aber, warum du dich so schnell für Menschen begeisterst, die sehr viel älter sind als du.«
    »Meinst du das ernst?«
    »Sie mochten dich.«
    »Du hast ja leider kaum mit ihnen geredet.«
    Sie biss sich auf die Lippen und sagte leise: »Mir ist gerade wirklich nicht danach, neue Menschen kennenzulernen.«
    Am Abend ging ich in unseren Keller. In einem alten Karton fand ich eine elektrische Nähmaschine, die ich in mein Zimmer hinaufschleppte. Sie begeisterte mich schon allein deswegen, weil sie so schnarrende, altmodische Geräusche machte. Ich öffnete mir eine Flasche Wein, rauchte Zigaretten, hörte Musik aus dem Radio und begann damit, eine Katze zu zeichnen, eine weiße Katze mit schwarzen Augen, die auf einem Balken balancierte. Ich dachte an Sonja, wie sie gesagt hatte: »Ich hab schon mal ein Oberteil für Tracy Chapman gemacht. Ihre Agentin hat damals meine Entwürfe in München gesehen. Das Oberteil hat sie dann während ihres Konzertes in München getragen. Für solche Leute lohnt es sich zu arbeiten.«
    Ich holte den Stoff aus der Tüte, einen weißen, seidigen Stoff. Ich übertrug die Umrisse der Katze, holte eine Schere vom Schreibtisch und schnitt ihn zurecht. In der Morgendämmerung saß die Katze vor mir. Ein sonderbares Wesen, gefüllt mit Watte und
Papier, das seinen Gesichtsausdruck änderte, sobald man leicht auf den Rücken drückte. Ich dachte, dass in der Katze all das übrig gebliebene Kindliche steckte, das ich nicht mehr an mir mochte. Ich verstaute das selbst gebastelte Tier in meinem Schrank und ging hinunter zum Frühstück. Meine Eltern saßen im Garten und redeten über die Schule. Es schien, als ob sie sich besondere Mühe gaben, vor mir freundlich und gut gelaunt zu wirken. Mein Vater streichelte mir über den Kopf: »Freust du dich auf die Ferien?« Ich nickte und aß einen Bissen von dem Croissant, das im Brotkorb lag.
    Am Nachmittag, nach dem Unterricht, nahm ich den Vorortzug und fuhr wieder zu den Schwestern. In der Woche hatte meine Mutter Geburtstag, am Beginn der Osterferien, und ich war fest entschlossen, ihr mithilfe der Schwestern eine Bluse zu nähen, etwas, das ganz anders sein würde als diese kindliche Stoffkatze, ein Beweis, dass ich mich von ihr und meinem Vater zu lösen begann, ohne meine Liebe zu ihnen zu verlieren.
    Die Woche verging wie im Rausch. Jeden Tag wartete ich nur darauf, dass die Schule zu Ende war und ich nach Freiburg fahren konnte. Die Schwestern taten so, als wäre es nie anders gewesen. Einmal sagte Sonja zu mir: »Sei nicht so streng mit deinen Eltern. Wir haben beide auch jeweils eine Ehe hinter uns. Das ist wirklich kein Zuckerschlecken.«
    Ohne dass ich ihnen etwas erzählt hatte, schienen sie genau zu wissen, was mit meinen Eltern los war.
Ich half ihnen im Laden, saß mit Hannah in dem von der Sonne erwärmten Hof und hörte zu, wie sie mir aus der Zeitung vorlas. Zum ersten Mal spürte ich, wie es ist, die eigenen Gedanken ernst zu nehmen, weil jemand da war, der aus meinen Wünschen keine Beurteilungen ableitete, sondern mir zuhörte. Und ich selbst hörte auch zu, entdeckte Neugierde auf Themen, die mir vor Kurzem noch als fern und fremd und aus der Welt meines Vaters erschienen waren. Es gefiel Hannah beispielsweise, dass ich mich für ihre Meinung zu den politischen Artikeln interessierte, die sie mir vorlas. Sie wollte wissen, was ich darüber dachte. »Weißt du, die geben sich hier wenigstens Mühe, keine Lügen zu erzählen. Sie haben einen anderen Blick auf die Dinge in diesem Blatt. Wie soll ich sagen - sie schreiben vorsichtiger. Meinst du nicht?«
    Vielleicht habe ich sogar einmal ein Autorenfoto von Ihnen auf einer der dünnen, knisternden
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