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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus
Autoren: Gernot Wolfram
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er recht wusste, warum, daran sattgesehen. Einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, die Verabredung nicht einzuhalten. Er genoss es, sich an seinen Tisch zu setzen, die eingegangenen Nachrichten durchzusehen, zu telefonieren und zu schreiben, ab und an in den Hof zu gehen, um an dem meist geöffneten Küchenfenster mit den Leuten aus dem Restaurant Neuigkeiten auszutauschen. Es gefiel ihm überhaupt, sich mit den großen und kleinen Dingen zu beschäftigen, die wie ein ständig zirkulierender Blutkreislauf das Leben dieser wöchentlich einmal im ganzen Land erscheinenden Zeitung bestimmten.
    Die ständigen Reisen in den letzten Jahren hatten ihn in so viele Städte und Länder geführt, dass er sich kaum vorstellen konnte, es nicht als einen glücklichen Moment seines Lebens zu begreifen, endlich
einmal zur Ruhe zu kommen. Die Dinge hatten sich so gefügt, wie er sie sich gewünscht hatte. Er schrieb immer noch für die Zeitung, die er schon als Student gelesen und bewundert hatte (sie war nicht die auflagenstärkste, dafür die, von der in der Stadt am meisten abgeschrieben wurde), die Freunde, die ihm wichtig waren, lebten mittlerweile fast alle wieder in der Stadt, er verliebte sich hin und wieder, verdiente einigermaßen gut, und er war fest entschlossen, nichts zu tun, was ihn in die Hektik der vergangenen Zeit zurückkatapultieren würde. Zudem war gerade sein Buch über die »Neuen Griots von Adamaua« erschienen, eine Gemeinschaft von Musikern im Hochland Kameruns, die mit ihrer Musik an die mündlich weitergegebenen Erinnerungen der alten Griots anknüpften, der fahrenden Sänger, die einst das weit ausgreifende Gedächtnis ihrer Stämme wachgehalten hatten. Über Wochen hatte er die Männer mit einem Übersetzer begleitet, einem älteren weißhaarigen Mann, der dreißig Jahre einer harmlosen deutschen Sekte in Yaoundé angehört hatte. Er war mit ihnen in einem alten Transporter in abgelegene Dörfer gereist, hatte am Abend in ihrem Kreis gesessen und gelernt, wie man zwischen zwei langen Sätzen schweigt. (Dabei bestand ein solcher langer Satz manchmal nur aus vier Wörtern.) Sogar ein uraltes Amulett aus dem Besitz seiner Familie hatte ihm einer der Anführer später geschenkt, eine Auszeichnung, die ihn als »Begleiter in der Ferne« auswies, wie es in ihrer Sprache hieß. Das Buch hatte ihm einen Preis eingebracht und viele
Besprechungen von Kollegen, die ihm bescheinigten, ein »gewissenhafter Spurensucher dieser wiedergefundenen Tradition« zu sein. Selbst einige der üblichen Neider in der Redaktion verzichteten diesmal auf dumme Bemerkungen. Dieser Sommer erschien ihm wie ein lang ersehntes Ankommen, ein Durchatmen, auf das er lange gewartet hatte.
    Er trank den letzten Schluck Kaffee. Er schloss seine Zimmertür hinter sich und gab Maria, seiner Kollegin im Nebenbüro, mit einem scherzhaften Handzeichen Bescheid - eine Art der Verständigung, die bestens zwischen ihnen funktionierte -, dass er noch einmal für eine Weile fortmusste. Maria, die heute ihre schwarzen Haare zu einem Zopf zusammengebunden hatte, lächelte ihn an und erwiderte das Handzeichen. Dann ging er über den Hof, streichelte den Hund des Pförtners, der die meiste Zeit auf einer Decke neben dem von fleckigen Glasscheiben eingefassten Eingangshäuschen lag, wechselte ein paar Worte mit dem Pförtner und lief zur nächsten U-Bahn-Station. Während er die Treppen in den Schacht hinunterstieg, dachte er daran, wie genussvoll der Hund durch die Nase schnaubte, sobald man ihn streichelte.
    Er wunderte sich über sich selbst, dass er der Frau am Telefon zugesagt hatte, ins Café Berghaus zu kommen. (Mitten in dieser flachen, auf Sand treibenden Stadt ein Café »Berghaus« zu nennen war ein seltsamer Einfall.) Was wollte sie von ihm? Ein privates Gespräch über den Tod ihrer Eltern führen? Ein
Geheimnis preisgeben? Ihn womöglich in einen Familienkonflikt hineinziehen? Und welche Reise meinte sie überhaupt?
     
    Auf dem Bahnsteig schlug ihm warme, schwüle Luft entgegen. In der Ferne sah man, dass sich Wolken über der Stadt zusammenzogen.
    Er ging über die Brücke und blickte hinunter auf die Gleise, die sich in weiten Bögen an den Häusern entlangzogen. Die warme Luft schien in die geöffneten Fenster förmlich hineinzuströmen. Die dazugehörenden Wohnungen wirkten in diesem Licht und dieser Stunde, als hätten sie keine Bewohner.
    Das Café lag in einer Seitenstraße, ein helles Café mit großen Fensterscheiben,
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