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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus
Autoren: Gernot Wolfram
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mir von allen Verwandten immer am nächsten stand - hat sich darum gekümmert. Mein einziger Wunsch war: Alles in dem Haus sollte so bleiben, wie es einmal gewesen war.
    Ich wollte wissen, dass der Ort, der meinen Eltern so viel in ihrem Leben bedeutet hatte, unverändert weiterexistierte - dass er Zeit hatte, langsam abzusterben. Wie ein langer großer Herbst sollte es sein, dessen Ende von selbst in Erscheinung treten würde, irgendwann in einer mir unbekannten Zukunft.
    Es ist kein besonders großes Haus. Es steht in der Mitte einer Reihe anderer Häuser, die entlang einer Straße gebaut wurden, an deren Ende ein Waldstück und ein paar Felder beginnen.
    Unterm Dach befand sich mein Zimmer. Mein Vater hatte es gemeinsam mit Bernhard ausgebaut - mit so einer schmalen Wendeltreppe, die aus dem zweiten Stock zum Dachboden hinaufführte.

    Auf dem Tisch in der Ecke lagen Zeitschriften, Bücher und ein Heft mit Fotos, die ich mir aus Zeitungen ausschnitt: Bilder von Katzen, die ich in dieser Zeit sehr liebte. Ich sammelte Fotos von streunenden Katzen, die irgendwo zufällig auf einem Bild auftauchten, ruhig einherschreitende Straßenlöwen, am Bildrand versteckte Tiere, die zufällig ins Visier des Fotografen geraten waren; je unauffälliger, desto besser.
    Es war ein Spiel zwischen mir und meinen Eltern, dass, wann immer jemand von uns irgendwo ein solches Bild fand, er es in das Heft legte, mit einem Kommentar versah oder einem kleinen Pfeil, der auf das Tier wies. In dem Lieblingsbuch meiner Kindheit - es hieß Die versteckte Katze - hatte es einen Zauberer gegeben, der sich in eine Katze verwandeln konnte, die nur dann ihre magischen Kräfte entfaltete, wenn niemand sie beobachtete.
    Nachts herrschte in meinem Zimmer immer eine besondere Stille, so eine typische Vorortstille, in der alle Geräusche wie aus weiter Ferne zu kommen scheinen. In bestimmten Stunden hörte man allerdings überhaupt nichts. Manchmal war es, als würde man unter einer Glocke sitzen, nur ein sanftes, fernes Vibrieren der Welt rings um die Siedlung, eine Stille wie aus Glas war zu spüren. Durch das Dachlukenfenster, das mein Vater verbreitert und mit einem Holzrahmen versehen hatte, konnte man in klaren Nächten die Sterne sehen, wie in einem Raumschiff. Meine »Sternenburg« habe ich das Zimmer damals genannt.

    Mein Vater, der immer die leuchtenden Augen eines Kindes bekam, sobald er eine neue Idee für eine Veränderung des Hauses ausbrütete, hatte mir sogar eine Tischecke gebaut, auf die, wie durch ein geheimnisvolles Rechteck, das Licht aus dem Dachfenster fiel. Gleich daneben stand mein Bett. Abends kam mein Vater manchmal zu mir, meistens trug er dann einen seiner unzähligen schwarzen Wollpullover, und wir rauchten bei geöffnetem Fenster gemeinsam eine Zigarette, wovon meine Mutter aber nichts wissen durfte. Kalt strömte die Luft dann ins Zimmer, und wir sahen den aufsteigenden Rauchkringeln in der Dunkelheit zu.
    Ich bildete mir damals ein, dass dieses Zimmer mit meinen Büchern und den alten Vinylschallplatten, die ich sammelte, irgendwann begonnen hatte, ein eigenes Reich zu werden, in das mein Vater als eine Art fremder Besucher einzutreten genoss. Er wusste, dass ich anders war als er. Ich hatte nicht seine Gabe, schnell auszusprechen, was ich dachte und sagen wollte. Dennoch wussten wir immer, was dem anderen gerade durch den Kopf ging. Er hatte eine Leidenschaft für Kartenspiele. Häufig saßen wir bis spät in die Nacht auf meinem Bett und spielten, wobei er manchmal das Spiel unterbrach, sich zurücklehnte, sich durch die Haare fuhr und sagte: »Ich habe überhaupt keine Lust, morgen in die Schule zu gehen. Du glaubst gar nicht, wie viel Unsinn ich mir jeden Tag anhören muss. Manchmal wünsche ich mir meine Studienzeit zurück, die Berliner Zeiten - in die Universität gehen, selber entscheiden,
welches Seminar man besucht und welches nicht, von keiner Uhrzeit mehr getrieben zu werden. Wenn es bei dir so weit ist, werde ich nicht zu den Vätern gehören, die auf ein schnelles Studienende drängen, das kannst du mir glauben.«
    Als ich einmal zu ihm sagte, dass er doch im Vergleich zu anderen Eltern viel mehr Zeit zu Hause verbringe, sah er mich verwundert an und wurde beinahe ärgerlich.
    »Was soll das? Warum sagst du das? Glaubst du, wenn ich zu Hause bin, habe ich frei? Schau auf meinen Schreibtisch - du weißt, was sich da alles stapelt. Mit unleserlicher Schrift vollgekritzelte Aufsätze, in denen Dinge stehen
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