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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
Autoren: Kai Meyer
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lang gezogener Kampfschrei ertönte, als Li mit einem gewaltigen Sprung aus dem Knochendickicht zur Linken des Ungeheuers wirbelte, im Federflug über den haushohen Leib hinwegsetzte und dabei einen gezielten Schlag mit der Schaufe l lanze führte.
    Die schwarze Zunge zersprang und schnellte in beide Richtu n gen davon. Während Li im Schatten des Gebeindschungels abtauchte, verschwand das eine Ende der Zunge im Trichte r maul des Tausendfüßlers, das andere klatschte unter den Bauch des Kranichs. Vor Schmerz richtete sich der Vogel in der Luft auf, wollte in Panik nach oben davonschießen – - und verlor in derselben Bewegung seine kreischende Reiterin.
     
    SEELENSCHLUND
     
    S ekundenlang sah es noch aus, als könnte Nugua sich an den Zügeln des Kranichs festhalten – dann entglitten sie ihren Fingern. Über ihr stieß der Vogel nach oben fort, immer noch panisch, ein weißer Schemen, der blitzschnell kleiner wurde. Nugua stürzte rückwärts in die Tiefe. Ihr Verstand war wie ausgebrannt, gähnende Leere in ihr und unter ihr.
    Der Aufprall tat weh, aber der Schmerz wurde vom Schock verschluckt, als sie viel schneller als erwartet auf Widerstand traf. Ihr Rücken prallte auf Chitin, sie schlitterte abwärts, aber nicht zur Seite, sondern in die Vertiefung hinab, wo ein Segment des Untiers ans andere stieß . Dort blieb sie wie betäubt liegen, eingezwängt zwischen den mahlenden Panzerplatten, nur wenige Meter von den riesenhaften Beinen entfernt, die sie augenblicklich zermalmt hätten, wäre sie seitlich darunte r gestürzt.
    Ganz kurz dachte sie: Aber ich sterbe ja sowieso! Warum sollte sie noch vor diesem Ding davonlaufen? Was gewann sie dadurch? Ein paar Tage? Eine Woche?
    Ihr Herzschlag hämmerte gegen den Klammergriff der Pu r purnen Hand an, und sie hatte Mühe, sich zusammenzureißen und wieder klar zu denken. Hoch über ihr kreiste der Kranich. Sie sah ihn verschwommen unterhalb de r g rauen Nebeldecke, sichtlich angeschlagen, ein Bein leicht angewinkelt. Aber wie verletzt er auch sein mochte, schien er doch auf Nugua herabz u blicken, als wollte er sie um jeden Preis im Auge behalten und sofort herabstoßen, wenn sich die Möglichkeit dazu bot.
    Der Riesentausendfüßler erbebte und zitterte, als er sich wi e der in Bewegung setzte. Entweder hatte er nicht bemerkt, dass da ein Mensch auf ihm lag, oder aber es kümmerte ihn nicht. Vielleicht hatte er wieder die Witterung des Xian aufgenommen, denn er änderte seine Richtung, bog seinen Titanenleib nach rechts und glitt unter dem Gitterwerk eines Drachengerippes hindurch, folgte dem beinernen Tunnel aus Rückgrat und Rippenbögen nach Norden.
    Nuguas Überlebenswille kehrte zurück, als sie die blanken Wirbel über sich hinwegziehen sah, jeder einzelne so groß wie sie selbst. Rechts und links glitten die Rippen des toten Drachen vorüber. Unter ihrem Rücken bebten die Chitinplatten. Sie lag genau auf der Kante, wo zwei von ihnen zusammenstießen, der Übergang zwischen den Wurmsegmenten des Ungeheuers. Wenn sie in den Spalt geriet, würde sie sofort zerquetscht werden. Darum wagte sie kaum, sich zu bewegen oder gar ihre Position auf dem Rücken des Tausendfüßlers zu verändern.
    Nur – irgendetwas musste sie tun.
    Ihr Kreuz tat weh vom Aufprall auf dem Chitin, aber sie war nicht hoch genug in der Luft gewesen, als dass sie sich ernsthaft hätte verletzen können. Das monströse Wesen, das sie über den Drachenfriedhof trug, mochte sie nich t b emerkt haben, doch die Gefahr, zwischen den Chitinplatten entzweigeschnitten oder unter den verwinkelten Beinen zertrampelt zu werden, wurde dadurch nicht geringer.
    Ganz vorsichtig zog sie erst einen Fuß an, dann den anderen. Langsam winkelte sie die Ellbogen an und setzte die Handfl ä chen neben ihren Ohren auf das Chitin. Dann drückte sie die Hüften nach oben, bildete über dem Spalt zwischen den ma h lenden Panzerplatten eine Brücke. Das Schaukeln und Ruckein machte es alles andere als einfach, diese Position länger als ein paar Sekunden zu halten, aber das hatte sie auch gar nicht vor. Stattdessen federte sie mit einem Ruck den Oberkörper nach oben und stand im nächsten Moment schwankend auf den Füßen, mit dem Rücken zur knirschenden Chitinkante.
    Sie war selbst überrascht, dass sie nicht gleich wieder hinfiel. Irgendwie gelang es ihr, die Erschütterungen des Untergrunds auszugleichen und sich vorwärtszubewegen, entgegen der Kriechrichtung der Kreatur. Im Augenblick folgte der Riese n
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